Stefan Frischauf [1] ist Dipl. Ing. der Architektur, Schwerpunkt Städtebau. Er ist im Laufe seines Berufslebens u.a. als Fachingenieur für Brandschutz tätig gewesen. In den Jahren 2009 und 2010 hat er ein „Regenerationsprojekt“ für einen Teil der Altstadt der afghanischen Hauptstadt Kabul im Rahmen seiner Tätigkeit für eine britisch-amerikanische „Nicht-Regierungs-Organisation (NGO)“ geleitet. Stefan Frischauf hat ebenso in China, Indien und Bangladesch gelebt und gearbeitet und wurde 1964 in Düsseldorf geboren.
Im November 2016 hat er sich um die Bundestagskandidatur für die SPD im Wahlkreis 106 in Düsseldorf-Nord beworben. Hier seine Rede:
26.11.2016 – Rede zu meiner Bewerbung als Bundestagskandidat der SPD, Wahlkreis 106 – Düsseldorf-Nord
Liebe Genossinnen und Genossen.
Nu steh ich hier und kann nicht anders, ein „unbeschriebenes Blatt“ in der Düsseldorfer Sozialdemokratie vielleicht – einer, der 2013 mit den Worten: „nur mit einer starken SPD bekommen WIR die Wende hin“ in die Partei Willy Brandts, Helmut Schmidts, Egon Bahrs, Erhard Epplers und vieler anderer eingetreten ist.
Ich hör`s schon: „So einer soll uns im Bundestag vertreten!“ „Der Stallgeruch, der fehlt ihm!“ Erfahrung – das Gedächtnis sicher nicht.
Vor der letzten Bundestagswahl 2013 sagte Jürgen Habermas: „Deutschland döst auf einem Vulkan!“ Ist es inzwischen entschlafen? Im Spätherbst 2015 – also lange vor den Landtagswahlen mit zweistelligen AfD-Ergebnissen sagte meine Mutter, Jahrgang 1936:
Wenn WIR in Deutschland einen Rechtsruck haben – dann Gnade uns Gott!
„Lerne das Einfachste!“ fordert Bertolt Brecht in seinem „Lob des Lernens.“ Oder – „Wer A sagt muss auch B sagen!“
Wer „Flüchtlinge sind willkommen“ sagt, der muss sich auch entschieden gegen Rüstungsexporte im Wert von derzeit rund 8 Milliarden Euro jährlich aussprechen.
„Wer B sagt, darf auch vor dem C nicht in die Knie gehen!“ Der muss auch endlich Alternativen zu Krieg, Zerstörung und Abbau hier wie dort bereit stellen.
Wer Genfer Konvention und Asylrecht sagt, der muss auch endlich das überalterte Land als Einwanderungsland deklarieren und dies per Gesetz regeln – auch um die steigende Anzahl von Kriegsflüchtlingen wirksamer schützen zu können. Der muss aber auch die Ängste der Verdrossenen und – der Rechtswähler ernst nehmen und fragen – woher das kommt.
Statistische Werte – ohne erklärten politischen Willen, das WARUM zu hinterfragen und dann auch entsprechend handeln zu wollen helfen da gar nichts. Es geht auch dort – um Sicherheit – und Angst. Um fehlendes Vertrauen.
Zwischen Hassels, Reisholz und Eller einerseits und Kaiserswerth, Wittlaer und Stockum andererseits – zwischen Duisburg und dem Ruhrgebiet dahinter einerseits und Düsseldorf andererseits – zwischen alter DDR und alter BRD – zwischen globalem reichem Norden und armem Süden – einer Grenze, die zum Beispiel in Italien bereits kurz hinter Rom von hier aus gesehen liegt. Und – Armut und – die Gefahr des Abstiegs in diese und Krieg, Zerstörung und Abbau – auch von Rechten und Freiheiten – und darin begründetem Vertrauen liegen keine Handbreit voneinander entfernt.
Wer sagt, „Austerität ist doof“, der muss auch Wege aus dem „Neoliberalismus“ ebnen und dies mit kluger und kompetenter Beratung offen erörtern. Und – der muss auch die Systemfrage stellen – aber nicht im Sinne des kommunistischen Manifests von 1848, wie ein befreundeter Genosse das Zukunftsprogramm der Partei der Linken provokant betitelt – sondern ausgehend von der Welt zu Beginn unseres Jahrhunderts.
Wer sagt, „Hartz 4 muss wech“, der muss auch neue Fundamente für unser gesamtes Sozialversicherungssystem erörtern und bei solchermaßen existenziellen Themen auch neue Wege zur Ermittlung von Gesetzesvorlagen erforschen.
Wer sagt, „der Mindestlohn ist toll“, der muss auch viel mehr neue Jobs schaffen wollen und – der muss über die flexiblere Gestaltung der Jobmärkte und Bürokratieabbau und realwirtschaftliche Offensiven nicht nur nachdenken.
Wer sagt, „wir brauchen mehr Steuergerechtigkeit“, der muss auch den derzeitigen Spitzensteuersatz von 42 % auf weit über 50 % anheben, Vermögenssteuer und anderes angehen, internationale Großkonzerne besteuern – aber auch Anreize für einheimische Investitionen hierzulande erleichtern.
Wer sagt, „Exportüberschüsse sind schlecht“, der muss auch neue, fairere Außenhandelsfelder im Rahmen von internationaler und interkultureller Entwicklungszusammenarbeit mit Partnern vielerorts – und auf allen Ebenen eröffnen.
„Lerne das Einfachste!“
Wer vor dem C der ach so „Christlich Demokratischen Union“ und der Raute der Chef-Ausbremserin in die Knie geht – der hat auch vor dem F der AFD und dem S von „Seehofers und Konsorten Union“ schon längst kapituliert und – der darf sich nicht wundern über die Abwahl in die Bedeutungslosigkeit der traditionsreichsten Partei Deutschlands.
Stattdessen sollten WIR das in der Groko zuletzt doch arg deformierte Original der Sozialdemokratie wieder deutlicher herausarbeiten – auch als Angebot an grüne und linke Partner – in Deutschland und in Europa!
Und – da lasst mich jetzt hier im Rückgriff auf Vaclav Havel, einen der großen Europäer der ersten Stunde nach 1989 sagen:
Ich betrachte die Beine Düsseldorfer Passanten mit den Augen seines tschechischen Landsmannes, der morgens auf der Brücke am Wehrhahn mit seinem Pappbecher kniet und mir ehrfürchtig lächelnd „Kein Problem, Monsieur!“ sagt, wenn ich mich bei ihm entschuldige dafür, dass ich ihm nur wenige Cent da hineinwerfe.
Ich betrachte das Außenamt mit den Augen des Vaters aus Damaskus, der nun in der Blanckertzstraße im Heim wohnt und einen Brief an Frank-Walter Steinmeier geschrieben hat mit der Bitte um Unterstützung bei der Familienzusammenführung mit seiner an der Frontlinie zwischen hierzulande so genannten „moderaten Rebellen“ – Al Nusra und Co und Regierungstruppen lebenden Frau und Kindern.
Ich betrachte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit den Augen des jungen syrischen Chirurgen, der nach acht Monaten in Deutschland zurück nach Aleppo gehen will, wo man ihn braucht.
Ich betrachte das Jobcenter mit den Augen der jungen Frau aus Masar-e-Sharif, die mit Vater, früher Bauunternehmer dort, Mutter und drei Schwestern und deren Kindern hier nach Düsseldorf gekommen ist. Sie hat in Masar für die Deutschen gearbeitet – eine ihrer Schwestern, die das auch getan hat, ist von Taliban vor den Augen ihrer Mutter ermordet worden. Sie hat ihren Master in Entwicklungsarbeit in Bangkok gemacht und an der Uni Masar gelehrt. Nun soll sie eine kaufmännische Ausbildung machen.
Ich betrachte den Zustand des deutschen Asylrechts mit den ängstlichen Augen eines früheren Fahrers von mir aus Kabul – ein Hazara, der seine Frau und Kinder von Mafiabanden bedroht sah und nun in Herten darauf hofft, irgendwann hier mit seiner Familie ankommen zu können.
Ich betrachte Westdeutschland mit den Augen der klugen Dame aus Ost-Berlin, die schon im alten System der DDR als wacher und kritischer Geist nicht gut gelitten war und nun als HartzIVlerin ihre Uni-Abschlüsse, Qualifikationen und Erfahrungen am Nagel hängen sieht.
Als Architekt und Städtebauer, Stadtbaugeschichtler und Baurechtler betrachte ich Orte unter dem Aspekt des Zusammenlebens. Es geht immer um Menschen und deren Lebenszusammenhänge. Und – um das Vermeiden des Auseinanderdriftens von sozialen Gefügen.
Aber – die Dinge sind komplex. Und – die Welt ist ein sehr schöner Ort – am Abgrund.
In Anbetracht des Zustands von Europa in dieser Welt müssen wir aufpassen, dass wir nicht bald in der „2. Berliner Republik nach dem 3. Reich“ aufwachen.
WIR benötigen eine offene und integrativ arbeitende Gesellschaftsordnung. Und – einen ebensolchen, von Vertrauen – von Hoffnung und Zuversicht getragenen permanenten Dialog zwischen dem Staat und der ganzen Gesellschaft!
Aber – wer da die Systemfrage stellt und Umbau fordert und vorantreibt – wie Bernie Sanders, der ja vom Establishment der Demokraten weggemobbt wurde , so dass wir uns nun Donald Trump als US-Präsident gegenüber sehen, wie Jeremy Corbyn in Großbritannien, mit dem Labour mehr als 200.000 neue Mitglieder gewonnen hat – warum wird der von führenden Sozialdemokraten hierzulande stetig ignoriert und ins Abseits gedrängt?
Leider lässt dies dann aber auch bezüglich der AfD bei der Bundestagswahl eher düstere Vorahnungen aufkommen.
Es bedarf viel Liebe und Vertrauen, um tragfähige Perspektiven aufzubauen. Beim Hausbau, beim Aufbau einer Familie – und einer Gesellschaft.
Mein Ort ist immer der Boden der Tatsachen. Ein weites Feld, das ich auf vielen Ebenen beackert habe. Theoretisch und praktisch. Die Realität aber ist immer viel härter als die graue Theorie.
Da braucht es viel Pragmatismus, Erfahrung und Offenheit.
Alleine für die Verhandlungen zum Erreichen größerer „sozialer Gerechtigkeit“ auf allen Ebenen benötigen wir harte und konsensfähige – präzise Zielvorgaben. Verhandlungen, die die ganze Gesellschaft – nicht nur 2/3 davon im Blick haben. Denn – das hinten rüber gefallene letzte Drittel – das bildet immer größere Mengen des Unbehagens und des Verdrusses.
Globalisierung ist keine Einbahnstraße. Nein, vielmehr sollte sie eine Straße in mehr Vielfalt sein.
Und – alles hängt nun einmal auf „globalisierten Märkten“ zusammen. Die Preisentwicklung auf den Grundstücksmärkten wird uns insofern auch beim Thema „Neue Wohnungsgemeinnützigkeit“ einholen. Gerade im Hinblick auf die Mietspiegel einerseits – die niedrigen Löhne in Deutschland andererseits. Denn – Grundstückspreise gehorchen den Regeln einer im „rasenden Stillstand“ gefangenen Maschine, die Inflations- und Rezessionsgefahr stetig exportiert.
Insofern benötigen wir kurz-, mittel- und langfristige Planungs- und Zeitfenster und entsprechende Zielvorgaben – vom Bund bis in die Kommunen.
Dasselbe gilt für die „Energiewende“. Auch da benötigen wir viel mehr Entschlossenheit, diese mit partizipativen – also ursprünglich sozialdemokratischen Inhalten zu versehen. Genau da gilt es dann auch, den Grünen abseits der sehr konservativen „Bionade-Grünen“ Angebote machen zu können. Und vor allem – um Menschen – und damit auch Wähler zu gewinnen!
Und – auch die „Digitalisierung ist eine Chance“. Den vielen Verlierern jedoch müssen wir genau dies glaubwürdig und programmatisch darstellen können. Arbeit muss sich wieder lohnen – und gute Arbeit muss wieder höhere Belohnung erfahren als Finanzgeschäfte.
Und – auch im Falle der Arbeitslosigkeit müssen wir schneller und flexibler die Menschen motivieren. Auch bei der Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft.
Dass die Agenda 2010 insofern nicht nur Kurskorrekturen erfahren muss – das versteht sich von selbst.
Umbau! Aufbau! WIR müssen dafür die Angebote liefern. Auch an andere – an rote und grüne Partner. Und – hart verhandeln.
Es ist unser Land. Unser Land in Europa. Und unsere Stadt. Denn – auch in eher „konservativen Milieus“ – wie etwa in weiten Teilen des Düsseldorfer Nordens – da trifft man auf viel Unbehagen. Unbehagen an einer scheinbar planlosen Schnelllebigkeit der Welt. Einer falsch verkauften Globalisierung, die auch dort immer mehr Menschen und deren Existenzen bedroht. Und – auch dort wird die Frage der „Nachhaltigkeit solcher Entwicklungen“ von vielen „Wertkonservativen“ gestellt. Bürger, die auf ihren Handlungsfeldern aber auch nur unzureichende Antworten erhalten. Und – die wir nicht ins „nationalkonservative Milieu“ der AfD verlieren sollten!
Ich bin ein Planer und pragmatischer Macher. Ein „Sarr-e-sefid“ – ein „weises Haupt“. So wurde ich in Afghanistan genannt. Ein Kämpfer ohne Waffen und wenn, dann mit „leerer Hand“ – was Karate übersetzt bedeutet. Vielleicht kann so einer die erforderlichen Themen ja viel glaubwürdiger darstellen und auch ihre Umsetzung in die Wege leiten als in der Groko „Realpolitik“ ausgebrannte Genossen?
Aber – da habt Ihr die Wahl!
Und – klar – Politik – und Konsensfindung sind kein Wunschkonzert, sondern harte Arbeit. Viele Einwürfe und Fragen aus den Ortsvereinen habe ich hier bereits ansatzweise erörtert.
In einem OV machte mich ein klug bohrender Genosse darauf aufmerksam, dass man als MdB natürlich nur ein kleines Rädchen im Getriebe sei und sich keinen Illusionen hingeben solle.
Stimmt. Aber – natürlich – das sollte hier auch gesagt sein – natürlich kann ich mir auch vorstellen, Sigmar Gabriel oder Martin Schulz, die beide kaum Pläne und Perspektiven zum Umbau und Aufbau unseres Landes in Europa und der Welt präsent haben in der
K-Frage herauszufordern. Natürlich sage ich das mit einem Augenzwinkern.
Aber – das habe ich auch zuletzt gesagt: Nach einem persönlichen Gespräch kann ich mir auch vorstellen, mit Sigmar Gabriel oder Martin Schulz zu arbeiten. Aber – dieses Gespräch, bei dem auch viele in dieser Rede angerissenen Punkte vertieft werden sollen von meiner Seite – das sollte drin sein.
Und – damit wir uns nicht missverstehen – nicht alles war oder ist schlecht. Aber – alles sollte besser und glaubwürdiger in der Umsetzung werden – nicht nur für 2/3 der Menschen in Deutschland, sondern für alle!
Danke!
Die Rede hat Stefan Frischauf ursprünglich auf seinem Blog [2] veröffentlicht. Dort findet sich auch ein Fazits des Autors sowie ein Brief an die Parteiführung der SPD aus dem Frühjahr 2016. Die Zweitveröffentlichung auf unserem Blog geschieht mit Zustimmung des Autors, wofür wir herzlich danken.
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