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Kleine Medienschau zum Thema Krieg im Gaza und dem Umgang damit in Deutschland

Gestern Mittag im Büro. Ein Kollege zeigt mir eine Mail, die er für makaber hält. Darin enthalten ein Foto der siebenköpfigen deutsch-palästinensischen Familie, die bei den Angriffen auf den Gaza-Streifen ums Leben gekommen ist, das auch durch die Presse gegangen ist. Und ein weiteres womöglich vom Einschlagort, wo das Ehepaar mit fünf Kindern ums Leben kam.

Ich frage mich warum. Warum dieser Krieg, der keines der Probleme zwischen Israel und den Palästinensern dauerhaft lösen kann? Warum wird über den Krieg häufig so unhistorisch berichtet, so als ob da zwei Streithähne wieder mal aufeinander losgehen? Und warum die Vermengung zwischen berechtigter Kritik an der israelischen Politik in Bezug auf die besetzten Gebiete und einer undifferenzierten Kritik an den Juden, die wahrnehmbar antisemitische Züge hat?

Ein schwieriges Thema, gerade in Deutschland, aber was geschieht hier eigentlich in der Berichterstattung? Dazu gibt es einen erhellenden Kommentar von David Goeßmann über die Rolle der Medien. Er ist verantwortlicher Redakteur bei Kontext TV [1], einem unabhängigen Nachrichtenmagazin, das regelmäßig über Internet und nicht-kommerzielle Radio- und TV-Stationen sendet und  Hintergrundinformationen zu drängenden Gegenwarts- und Zukunftsthemen wie Klimawandel, Krieg und Frieden, Finanzkrise, soziale Gerechtigkeit und Migration liefert. Träger ist ein gemeinnütziger Verein, die Auswahl der Gäste ist immer wieder spannend und empfehlenswert. David Goeßmann schreibt:

Die Medien sind dazu verpflichtet akkurat und fair zu berichten, relevante Hintergründe zu liefern, damit sich die Bürger ein realistisches und wahrheitsgemäßes Bild von den Vorgängen machen können. Hat die deutsche Presse ihre journalistische Verpflichtung im aktuellen Konflikt erfüllt? (…)
Der Vorwurf, die Hamas missbrauche die Gaza-Bevölkerung als „menschliches Schutzschild“, ist eine Behauptung der israelischen Regierung, standardmäßig auch von den Medien erhoben, aber auch standardmäßig nicht belegt. Etliche Studien vom Goldstone-Bericht bis hin zu Untersuchungen von Amnesty International haben Israels vergangene Gaza-Kriege genau untersucht. Sie fanden keinen einzigen Fall, der den rituellen Vorwurf, Hamas nutze Gaza-Bewohner als Schutzschilde, erhärtete. (…)
Man sollte sich auch in Erinnerung rufen, dass das Westjordanland und auch Gaza nach internationalem Recht weiter besetztes Gebiet ist und Israel Völkerrecht bricht. Israel kontrolliert alle Grenzen in Gaza zu Wasser, zu Luft und auf dem Land. Die Besetzung eines Gebiets gilt nach internationalem Recht als ein Akt des Krieges. Auf diesen grundlegenden Verstoß muss immer wieder hingewiesen werden, sonst wird ein Kernbestandteil des Konflikts unterdrückt. Doch die Medien reduzieren ihn zu einem Kampf von Streithähnen, zu einer Abfolge von irrationalen Gewalttheatern. Doch die Gewalt in Nahost ist nicht Ausdruck eines unlösbaren Konflikts. Eine friedliche und gerechte Lösung ist möglich. Die minimale Basis dafür ist Respekt vor internationalem Recht. Israel muss daher die Besatzung beenden und die illegalen Siedlungen im Westjordanland (sprich alle) räumen, die widerrechtliche Annexionsmauer abbauen und den Weg frei machen für eine vom Völkerrecht und der internationalen Gemeinschaft geforderte Zweistaatenlösung, mit einem Palästinenserstaat innerhalb der Grenzen vor 1967, eventuell mit kleinen Gebietsanpassungen und -austauschen.

Quelle: GAZA, ISRAEL UND DIE ROLLE DER MEDIEN[1]

Dieser Einschätzung kann ich zustimmen. Insbesondere versucht Goeßmann, Zusammenhänge herzustellen, ohne Schuldzuschreibungen vorzunehmen. Er kritisiert zu Recht die häufig einseitige Berichterstattung in den deutschen Medien, die letztlich eine verhängnisvolle Folie bedient: Israel und der Westen sind die Guten. Die CDU hat ja schon vor zwei Jahren erklärt, die Leitkultur in Deutschland sei die christlich-jüdisch-abendländische Kultur [2]. Und damit wohl auch klar gemacht, wer nicht dazugehört.

Damit kommen wir aber zu einem innerdeutschen, innereuropäischen Problem. Der  Ausgrenzung der Einwanderer und ihrer hier geborenen Kinder und Enkelkinder. Heribert Prantl dazu in der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 24.7.2014:

Es gibt aber eine neue Gruppe von migrantischen islamischen Jugendlichen in Deutschland, die ganz selbstverständlich israelfeindlich und antisemitisch ist, deren besondere Aggressivität sich jetzt am Gaza-Krieg entzündet – und die sich die jungen Maghrebiner in Frankreich zum Vorbild nimmt. Nicht ganz wenige dieser Jugendlichen sind gewaltgeneigt. Das ist eine neue Gefahr; sie signalisiert grobe Integrationsdefizite.

Diese groben Integrationsdefizite kann, muss man beklagen; man kann und muss sie aber vor allem bekämpfen – zu allererst mit pädogischen Konzepten; Strafrecht ist Ultima Ratio. (…) Hier müssen staatliche Mittel investiert werden, die nicht geringer sind als die Mittel für das Neonazi-Aussteigerprogramm Exit.

Ja, ich hatte in meiner Grundschulklasse nur einen türkischen Schüler, ist auch schon lange her. Ich habe Hürriyet auch nicht als Außenseiter gesehen, zumindest sicher nicht mehr als mich selbst, dessen Großeltern im Ort wohnten. Später in der Jugend, als ich mir vom Taschengeld Singles kaufte, fand ich es schon befremdlich, wie der Eigentümer des Radio- und Fernsehgeschäfts bei uns in der Kleinstadt bei offensichtlich türkischen Kunden sämtliche Deutschkenntnisse vergaß, zu radebrechen begann und alle duzte in dem Stil “du nix wissen, aber ich dir sagen, Gerät gut…”

In der Tat, vor vielleicht zwei Jahren gab es einen aufschlussreichen Artikel im Stern von gut qualifizierten Bürgern mit türkischem Migrationshintergrund (und Pass), die Deutschland den Rücken gekehrt haben. Sie wurden, soweit ich mich erinnere, immer auf ihren Migrationshintergrund zurückgeworfen und sahen in der Türkei bessere Chancen für ihre berufliche Existenz. Auch ein Anwalt war darunter, wie gesagt, es ging um gut qualifizierte, zum Teil studierte junge Leute.

Zudem sind auf Grund der eskalierenden Konflikte seit mehr als 10 Jahren Flüchtlinge, darunter viele junge Menschen aus Afghanistan, Irak und neuerdings aus Syrien nach Deutschland gekommen. Ja, welche Möglichkeiten räumen wir ihnen denn ein sich zu integrieren? Prantl benennt die Integrationsdefizite zu Recht, wir sind faktisch eine Einwanderungsgesellschaft, aber mental eine Abschottungsgesellschaft. Und die Aussage zur christlich-jüdisch-abendländischen Kultur ist doch Trug. Die Geschichte war doch anders, und unsere besondere Verpflichtung unserer Geschichte und unserer Verbrechen den Juden gegenüber sollte ehrlich vorgetragen werden statt Geschichtsklitterung zu betreiben.

Hürriyet hat übrigens dann in Fulda studiert und Anja geheiratet und ist – anders als ich – in der Heimat geblieben. Ich dagegen bin ausgewandert. Von Ostwestfalen-Lippe nach Bayern.

Aber zurück zur Kritik in Deutschland bezüglich des Konflikts in Gaza: “Der Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze hält die Angriffe auf Gaza wegen der vielen zivilen Opfer für unzulässig. Auch wenn Israel sich gegen die Hamas verteidigen dürfe” (Quelle: Zeit Online [3]).

Und im Deutschlandfunk gab es vor drei Tagen ein interessantes Interview mit Rolf Verleger [4], ehemaliges Direktoriums-Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland. Kurzer Auszug:

Armbrüster: Würden Sie dann der israelischen Regierung das Recht absprechen, sich gegen den Terror der Hamas zu wehren?

Verleger: Würden Sie der Gazabevölkerung das Recht absprechen, sich gegen den Terror Israels zu wehren? Ich meine, so kommt man doch nicht weiter. Man muss doch Kausalketten sehen. Was doch gelaufen ist, dass die Friedensverhandlungen unter Kerry zusammengebrochen sind aufgrund Israels – das hat Kerry ziemlich klar gesagt -,   weitergehenden Siedlungspolitik, aufgrund der Nichtfreilassung von Gefangenen, wie vereinbart. Daraufhin hat sich die palästinensische Hamas mit Fatah zusammengetan, das wurde allgemein begrüßt in USA und Europa. Nur Netanjahu wollte das zerschlagen und hat eine Kampagne gegen die Hamas gestartet, und dann wurden diese drei israelischen Schüler entführt und diese Kampagne hat er dann benutzt, um die Hamas in der Westbank zu zerschlagen, im Gazastreifen auch noch ein paar Leute umzubringen. Das steht hier nicht in der Zeitung. Dass die dann ihre komischen Raketen abschießen, das ist nicht schön, aber das ist doch eine verständliche Folge all dieser Dinge. Da kann man doch nicht irgendwo aufhören und sagen, das war jetzt aber Gewalt, da müssen wir dagegen sein.

Solche Qualität wünschen wir uns im öffentlich-rechtlichen Radio viel öfter. Aber stattdessen häufig: Schwarz-weiß-Vereinfachungen in vielen Medien. Zumindest fehlende Kritik an der israelischen Politik. Meines Erachtens wäre gerade von deutscher Seite eine Klarstellung notwendig. Aus unserer Geschichte heraus, aus unser Verantwortung und Sensibilität gegenüber den Juden und der Existenz des Staates Israel heraus müsste es eine unmissverständliche Aufforderung, ein unermüdliches Bemühen geben, dass die Waffen schweigen, dass Verhandlungen und gegenseitige Anerkennung notwendige Grundlage für einen Frieden in Israel und Palästina sind. Und das Gute ist, wir könnten uns dabei auf jüdische Stimmen stützen, nicht nur auf Herrn Verleger, sondern auch auf Juden in Israel. Zum Beispiel der Schriftsteller Nir Baram in der F.A.Z. [5]:

Seit vielen Jahren, wie gesagt, vermarktet die Linke ihre Idee der Zwei-Staaten-Lösung. Doch nicht nur ist diese Vision niemals zustande gekommen. Während dieser ganzen Zeit verlor die Linke die israelischen Gegenwart aus dem Blick. Sie hat die wichtigste Aufgabe nicht erledigt: gegen den alltäglichen Rassismus und für die Gleichberechtigung aller hier lebenden Menschen zu kämpfen.

Mehr als das Predigen von zwei Staaten und die Unterstützung neuer vergeblicher Verhandlungen unter amerikanischen Vermittlung wäre es zu dieser Stunde die eigentliche Aufgabe der Linken, die jüdische Bevölkerung aus ihrer Lebenslüge zu wecken. Dass sie gar nicht in einer Gesellschaft leben müssen, in der von Juden gegen Nichtjuden, Juden gegen Palästinenser, Juden gegen „Gojim“ gesprochen wird. Dieses vergiftete Denken hat uns lange geformt, jetzt müssen wir dagegen ankämpfen. Zweistaatlichkeit wird den Rassismus nicht beenden. Die israelische Gesellschaft braucht eine grundlegende Revolution ihrer Werte.”

Oder Uri Averny, Journalist, Schriftsteller, Friedensaktivist auf seinem deutschsprachigen Blog [6]:

WAS WIRD das Ende davon sein? Es wird kein Ende geben, nur eine Runde nach der anderen, wenn nicht eine politische Lösung  angenommen wird.

Dies würde bedeuten: stoppt die Raketen und die Bomben, beendet die israelische Blockade, erlaubt den Menschen im Gazastreifen ein normales Leben zu leben, fördert die palästinensische Einheit unter einer wirklichen Einheitsregierung, führt ernsthafte Friedensverhandlungen, MACHT FRIEDEN.

Die einzige Chance ist Frieden, was nur in gegenseitiger Anerkennung geht. Gewalt führt nur zu Hass und Gegengewalt, zu Rachegefühlen und verhindert eine politische, eine friedliche Lösung. Und in Anbetracht der Lage ist hier m.E. eindeutig die israelische Führung gefordert ihren Kurs zu ändern. Was nicht die Hamas von ihrer Verantwortung freisprechen soll.

Genauso wie wir gefordert sind, unsere westlich-saturierte Überheblichkeit gegenüber muslimischen Mitbürgern abzulegen. Nur in der tatsächlichen Begegnung und im tatsächlichen Austausch unter Anerkennung der unterschiedlichen Religionen und Kulturen besteht auch bei uns die Chance auf (sozialen) Frieden.

 

Endnotes:
  1. GAZA, ISRAEL UND DIE ROLLE DER MEDIEN: http://www.kontext-tv.de/node/436