Um zu verstehen, was “Political Correctness” ist, zunächst ein Blick nach Wikipedia[1]. Politisch korrekt bin ich dann, wenn ich es vermeide, Gruppierungen von Menschen oder auch Minderheiten, identifiziert nach Rassen, Religionen, Geschlechter und Kulturen, also nach Herkunft, Verhalten und Gesinnung, zu diskriminieren. Gegner dieser politischen Korrektheit bezeichnen ein solche Haltung als nicht erforderliche Rücksichtnahme gegenüber Minderheiten, sie sprechen dann von Zensur und dass die Redefreiheit eingeschränkt sei. Wir kennen viele ihrer Äußerungen, die beginnen mit ” … man wird doch noch sagen dürfen …” so als wenn man Minderheiten nicht kritisieren dürfe. Die Toten Hosen singen allerdings: “Auch Lesbische, Schwarze Behinderte können ätzend sein.” Das ist nachvollziehbar und ist politisch korrekt.
Der Angriff auf die politische Korrektheit eröffnet aber ein Feld, in dem es um mehr geht als um den Schutz von Minderheiten oder die Verteidigung einer offenen Gesellschaft. Schon 2010 hatte die Bundeskanzlerin “Multikulti” für gescheitert erklärt, am Satz des damaligen Bundespräsidenten, dass der Islam zu Deutschland gehöre, kam sie allerdings nicht vorbei bei ca. 4 Millionen Muslime im Land.
Unverkennbar verknüpft sind die Errungenschaften einer offenen Gesellschaft mit den Anforderungen, die an die heutige vorwiegend national organisierte Sozialpolitik gestellt sind, um die “Abgehängten”, die Verlierer der Globalisierung, das Prekariat aufzufangen.
Kinder allein zu erziehen bedeutet heute für viele Mütter ein großes Armutsrisiko. Warum ist die Zahl der Alleinerziehenden so stark gestiegen? Begünstigt wurde diese Entwicklung vorwiegend durch die Liberalisierung des Scheidungsrechts, das die Unabhängigkeit der Frauen stärkte, weil es dem Zerrüttungsprinzip den Vorrang einräumte gegenüber der Frage nach Schuld und Verantwortung. Müsste nicht eine entsprechende soziale Besserstellung der Mütter erfolgen, um dem liberalisierten Familienrecht gerecht zu werden? Logisch ist hier also die Forderung nach einer konsistenten Gesellschafts- und Sozialpolitik, z.B. indem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angestrebt wird. Diese Kluft zu überwinden, darf nicht dazu führen, dass den Forderungen des rechten politischen Spektrums nachgegeben wird, die Mütter wieder zurückzubringen zu Heim, Herd und Kindern.
Hillary Clinton, die Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten, hatte in ihrem Wahlkampf auf die “diversity” gesetzt. Sie sei deswegen
gescheitert, wegen der ständigen Adressierung von Frauen und MInderheiten wie Afroamerikaner, Lations, Lesben, Schwule, Transgender. […] Die Demokraten müssten sich eingestehen, dass mit der Trump-Wahl das ‘Ende des Identity-Liberalismus’ gekommen sei.
Quelle: Süddeutsche.de [1]
Die Niederlage Clintons erklärt sich aber auch dadurch, daß sie in der sozialen Frage einfach nicht glaubwürdig war. Die Vertreterin des Finanzkapitalismus konnte nicht versichern, Arbeitsplätze zu retten, wenn in verschiedenen Staaten der Kohleabbau aus Klimaschutzgründen gestoppt werden soll.
Es lassen sich sicherlich viele Beispiele finden, in denen die Achtung der Minderheitenrechte erst die Voraussetzung und die Motivation für eine soziale Politik darstellt, u.a.:
- Gleicher Lohn für alle bei gleicher Arbeit, für Frauen und für Männer, für Leiharbeiter und für regulär Beschäftigte
- Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums, für Inländer und für Geflüchtete
Einen Widerspruch zwischen den Bürgerrechten und den sozialen Anforderungen darf es nicht geben. Die SZ untertitelt übrigens den obigen Artikel:
Wer Minderheitenrechte gegen die soziale Frage ausspielt, hat in der Auseinandersetzung mit den Populisten schon verloren. Beides gehörte vielmehr immer schon untrennbar zusammen.
Die rechten Populisten positionieren sich eindeutig: Gegen die offene Gesellschaft, gegen Ausländer und Flüchtlinge, gegen den Feminismus und für eine Sozialpolitik, die ausschließlich nationale Vorkehrungen gegen die Folgen des Kapitalismus und der Globalisierung befürwortet.
Und wo stehen die Linken?
Thomas Steinfeld formuliert den Vorwurf an die Linken und hebt das Verbindende mit den Rechten hervor (SZ, 28.12.16, S. 13, Thomas Steinfeld, Das Gespenst der anderen):
Der linke Rassismus, der darin besteht, einen jeden Angehörigen einer Minderheit als Repräsentant einer speziellen “Kultur” zu behandeln, kommt in einem rechten Rassismus zur Vollendung, der jeden Deutschen in einen Bannerträger seiner Nation verwandelt.
Mit dieser Kritik könnte die Linke leben, der wirklich relevante Einwand gegen die Politik der Linken ist aber ein anderer, nämlich die Sozialpolitik vernachlässigt zu haben zu Gunsten der Identitätspolitik. Sighard Neckel (SZ, 22.11.16, S. 11, Aus Scham wird Rache) sagt, die Politik der Linken habe die Balance verloren.
Während Ungleichheit aufgrund von Diskriminierung die Welt unserer sozialen Beziehungen in Anerkennung und Missachtung aufteilt, schafft die Ungleichheit der Verteilung eine Rangordnung der wirtschaftlichen Starken und Schwachen. Die zum Liberalismus gewandelte Linke hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem gegen das Übel der Diskriminierung engagiert. Währenddessen nahm die wirtschaftliche Ungleichheit ungebremst zu. Der Kampf um die Anerkennung wurde vielfach gewonnen, der Kampf um Umverteilung hingegen ging weitgehend verloren, sofern er von den Linken denn überhaupt noch aufgenommen worden ist.
Die Chancen der Linken liegen in einem linken Populismus, den die belgische Politologin Chantal Mouffe fordert. Den Menschen müsse klargemacht werden, was Privatisierung und Sozialabbau für sie bedeutet, nämlich Status- bzw. Wohlstandsverluste (SZ, 29.12.16, S. 11, Interview: Till Briegler, Neue Chancen):
Diese Menschen zu erreichen, das verstehe ich unter linkem Populismus. […] Benennen, wo das bestehende Regime sich in Unterdrückung der Menschen verwandelt.
Soll das linker Populismus sein? Da ist es doch besser, einfach linke Politik zu fordern und zu gestalten. Chantal Mouffe hält es nicht für sinnvoll, die Menschen mit dem Thema Neoliberalismus gewinnen zu wollen, weil sie das nicht verstehen würden.
Vielmehr dringend notwendig ist doch, den Rahmen für die Identitäts- und die Sozialpolitik zu erweitern. Der nationale Bezug – und das ist dann wirklich sehr unterschiedlich zu den Parolen der Rechten – reicht einfach nicht mehr aus.
Catherine Hoffmann schreibt in ihrem Kommentar in der SZ[2]:
Auch muss man fragen, warum linke Parteien im Kampf gegen soziale Ungleichheit nicht über nationale Grenzen hinweg agieren. Wer unregulierte Märkte zähmen und globale Konzerne zu Steuermoral bewegen will, wer den Klimawandel stoppen und Globalisierung gestalten will, der braucht supranationale Zusammenarbeit und keine nationale Abschottung.
Die Political Correctness war immer schon grenzüberschreitend und international.
- Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Korrektheit
- Kommentar in der SZ: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-aufwachen-bitte-1.3313737