Und täglich grüßt der Neoliberalismus

Zeichnung: Klaus Stuttmann

Neoliberalismus steht für eine eindeutige Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft. Der Staat gibt wichtige Aufgaben auf, er übergibt viele Güter der Daseinsvorsorge (z.B. Bildung, Gesundheit, Verkehr, Innere Sicherheit, Wasserversorgung) an Private und gibt in vielen Fällen nicht einmal die Bedingungen für die Gütererstellung vor, das heißt er reguliert unzureichend. Neoliberalismus begegnet uns tagtäglich, oft sogar unbemerkt und verpackt in einer verführerischen Sprache, die sich positiver Begriffe wie “Reformen” oder “Sparen” oder “Die Rettung von Griechenland” bedient.

Samsung und die Börse

Wenn die Argumente regelmäßig wiederholt werden, wenn die Begriffe die gleichen bleiben, dann ist Vorsicht angebracht: Das ZDF macht auf mit dem Schlaglicht “Samsung schockt die Börsen.” Die brennenden Akkus führen über die “Gewinnwarnung” zum Produktionsstopp. Aber niemand fragt im ZDF – und woanders auch nicht – nach den Folgen für die Kunden, für die Mitarbeiter und die Lieferanten.

Viele haben sich so an die tägliche “BörseVorAcht” gewöhnt (Zitat: ” Die wichtigste Sendung des Tages.”) oder an die sogar halbstündigen Börsennachrichten in BR5. Was alle halbe Stunde kommt, das muss ja wichtig sein, ob minus 0,2% oder plus 0,1%. So wird Dringlichkeit und Vorrangigkeit produziert. Die SZ forderte immerhin, Samsung solle sich bei seinen Kunden entschuldigen. Ob die Mitarbeiter entlassen werden, ob es in Südkorea Kurzarbeit gibt, wie viele Lieferanten der Insolvenz entgegengehen, das interessiert niemanden, eben auch deswegen, weil darüber nicht berichtet wird. Und wer fragt schon danach, ob es Verantwortliche gibt, ob Versäumnisse des Managements vorliegen, ob jemand haftet? Die Einseitigkeit der Berichterstattung schafft Fakten.

Afghanistan und die Handys

In Brüssel hat in der letzten Woche die internationale Afghanistan-Konferenz getagt. Sie hat weitere finanzielle Hilfen für das Land beschlossen. Fakt ist, es gibt substantielle Verbesserungen für die Menschen, die Gesundheitsversorgung ist gestiegen, ebenso die Lebenserwartung und die Zahl der Schüler (SZ vom 6.10.16, S. 2). Die Sicherheitslage hat sich allerdings weiter verschlechtert, die Korruption ist gestiegen, ein Achtel der Milliardenhilfe verschwindet in dunklen Kanälen.

Da ist es gut, dass der amerikanische Außenminister John Kerry die wirklich entscheidende Rechnung aufmacht: 2001 gab es in Afghanistan einen TV-Sender, heute gibt 73, alle privat. 2001 kannte noch niemand ein Mobiltelefon im Land, heute gibt es 18 Millionen davon. Das erinnert an die Demonstrationen in Brasilien vor der WM 2014. Sehr marktfreudige Experten wiesen auf die gestiegene Zahlen von TV-Bildschirmen, von Kleinautos und Handys hin. Die Güter der Daseinsvorsorge (Bildungseinrichtungen für alle, günstige Verkehrsverbindungen, umfassende und bezahlbare medizinische Versorgung, sauberes Wasser und funktionierende Abwassersysteme) blieben zu vielen Brasilianern vorenthalten. Dafür wurden ihnen die Bilder der schönen neuen Stadien gezeigt.

Die unsichere Lage im Land scheint uns nicht davon abzuhalten, die Asylanträge der afghanischen Flüchtlinge vermehrt abzulehnen und die Abschiebung vorzusehen. Außenminister Steinmeier gibt eine Verbindung zwischen finanzieller Hilfe und Abschiebepraxis offen zu. An Handys werden die Zurückgeführten sicherlich keinen Mangel haben und westliche Mobilfirmen sowie der private militärisch-industrielle Komplex haben auch in Afghanistan ihre Profite gemacht, was die Anleger und die Börse zu honorieren wissen.

Airbnb und Uber

Kann irgendjemand etwas dagegen haben, wenn Private Wohnungen vermieten oder ihre Chauffeurdienste anbieten? In Paris kostet eine Taxilizenz mehr als 100.000 €. Da ist es schwer einsehbar, dass mir privat organisierte Dienstleister, ohne Lizenz und ohne Gewerbeschein, die Kunden vor der Nase wegschnappen. Zur Marktwirtschaft, einer die sich sozial nennt, gehört eben auch der Schutz von Gewerbetreibenden und kleinen Firmen.

Dürfen wir es hinnehmen, das dringend gesuchter Wohnraum dem Markt entzogen und gelegentlich für touristische Zwecke zur Verfügung gestellt wird? Dieser Wohnraum hat in seinem Wert profitiert von der Infrastruktur, geschaffen von der Gesellschaft. Oder darf eine Wohnung leerstehen, die nur aus spekulativen Gründen und zur Geldanlage erworben wurde?

Die Geister, die ich rief

Der nächsten Geschichte möchte man doch gern die Überschrift “Die Geister, die ich rief” geben. Die Privatisierungen vieler Krankenhäuser haben zu Zuständen geführt, die die Politiker jetzt beklagen. Der Landrat glaubt, der ökonomische Erfolg müsse nicht nur auf medizinische Leistungen, sondern auch auf der Betreuung der Patienten beruhen. Im Vordergrund steht also der ökonomische Erfolg.

Wenn Outsourcer das Essen in die Klinik transportieren und das Geschirr abräumen, ohne dass die medizinische Betreuung davon erfährt, ob und wie viel die Patienten gegessen haben, scheint der ökonomische Erfolg gewährleistet, während medizinische Aspekte vernachlässigt werden.

Fachkräftemangel kann es nur dann geben, wenn nicht ordnungsgemäß, z.B. nach Tarif bezahlt wird. Der Personalschlüssel der privaten Kliniken (etwa 1 Pfleger für 15 Patienten) liegt bei weitem über dem der kommunalen (etwa 1:5). Da mag die private Klinik wirtschaftlich erfolgreicher sein, sie weiß aber sehr gut, warum sie sich ständig rechtfertigen muss.

Die Politik scheut sich, die Konsequenzen zu ziehen. Kommunale Kliniken sind teurer und es müssten die Steuern erhöht werden. Mit der Privatisierung verdienen lediglich die Kapitalgeber und die Anteilseigner, zu Lasten der Patienten und der Mitarbeiter.

Es ist eine Erkenntnis, die uns die Hirnforscher seit Jahren mitgeben. “Regularity is the key of success!” Was für meinen täglichen Italienisch-Unterricht gilt, wird so wohl auch für die alltägliche politische Sprache gelten. Wir sollen uns, aber wir dürfen uns nicht daran gewöhnen.

Bildquelle: Klaus Stuttmann

Beitrag versenden

Drucken

This page as PDF

3 Gedanken zu „Und täglich grüßt der Neoliberalismus

  1. gerhard dengler

    Es ist schon seltsam, wenn Staatsmonopole unter dem Deckmantel der Liberalisierung abgebaut werden (es soll ja mehr Wettbewerb geben der ja angeblich immer dem Verbraucher zu Gute kommt), die Qualität dadurch schlechter wird und der Verdrängungswettbewerb dazu führt daß nur mehr ein paar große Anbieter übrig bleiben, die Preis und Qualität bestimmen und von denen man dann de facto abhängig ist.
    Schönes Beispiel ist der Fernbusmarkt wo Flixbus-Mein Fernbus mittlerweile 85 % Marktanteil hat und die Serviceprovider, also die privaten Busunternehmen und vor allem ihre Fahrer mit Dumpingpreisen knechtet.

    1. Ludger Elmer Beitragsautor

      Was kommt denn nun beim Thema AUTOBAHNEN raus? Es heisst, es solle eine unter staatlicher Regelung stehende privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft eingesetzt werden. (siehe http://www.nachdenkseiten.de/?p=35418#h09 / “Trassen als Tauschmasse”) Wenn die Regelung ok ist, akzeptieren wir dann die private Gesellschaft? So wie bei der Müllabfuhr, wenn die Kommunen vorgeben, wie oft welcher Müll abgeholt und wohin transportiert werden soll UND die Löhne der Outsourcer anständig sind? Ist es so, wenn die Regulierung stimmt, dann kann jeder Private ausführen?

  2. Andreas Schlutter

    Im Grunde darf die öffentliche Hand nichts aus der Hand geben, was für die gesellschaftliche Daseinsvorsorge und die öffentliche Infrastruktur notwendig ist. Somit ist die Privatisierung von Autobahnen grundsätzlich von Übel. Da ist in den letzten Jahren viel schlimmes passiert. Krankenhäuser und Altenheime ohne Tarifbindung ist das eine, drrei Paketdiensleister mindestens, die täglich vor der eigenen Haustür vorbeigahren. Prekäre Arbeitsbedingungen sind dort zuhauf zu finden.
    Wie sollen Private trotz Grwinnzwang und Mehrwertsteuerpflicht sonst günstiger als öffentliche seim?
    In einigem Berrichen wie der Müllabfuhr in kleinen Kommunen kann es letztlich günstiger sein, einen externen privaten Diensleister zu beauftragen. Eine eigene Infrastruktur vorzuhalten könnte sich unter Kosten- und Qualitätsaspekten nicht rechnen. Der externe könnte dennochl bei einem Kommunalverbund angesiedelt seim. Oder hslt bei einem Privaten. Hier bräuchte es auch in Bayern die rechtlichen Vorgaben wie in anderen Bundesländern, dsss die Kommunen bei der Vergsbe Tariftreue als k.o.-Kriterium vorschreiben dürfen. Sprich: die Löhne müssen mindestens den jeweiligen Branchentarif erfüllen und dprfen nicht unter TVöD-Niveau liegen.
    Konkurrrnz über schlechte Bezahlung zu organisieren mag den Finanzminister oder den Kämmerer freuen, für einen sozialen Rechtsstaat müsste dies (wiedrr) völlig induskutabel werden. Staatliche Zuschüsse für Lohndumping,ein Irrsinn

Kommentare sind geschlossen.