Wir brauchen keine eigenständige Flüchtlingspolitik, so lauten viele Argumente in dieser Zeit. Richtig ist sicherlich, die Flüchtlingspolitik ist lediglich der Ausdruck der neoliberalen Kürzung von Sozialausgaben und der steigenden Ungleichheit zwischen Reich und Arm.
Axel Troost[2], stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE und finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE sagt es so:
Die vielen Flüchtlinge, die im letzten Jahr zu uns kamen, mögen der berühmte Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. (…) Aber die Flüchtlingsfrage war eher der Katalysator für eine Veränderung der Stimmung in der Gesellschaft. Die Linke muss sowohl ihre Kernkompetenz “soziale Gerechtigkeit” weiterentwickeln als auch in der Flüchtlingsfrage eine umfassende Konzeption entwickeln.
Umfassend kann dieses Konzept aber nur dann sein, wenn es auf alle relevanten politischen Felder einwirkt und somit alle globalen und nationalen Faktoren, die Flüchtlinge hervorrufen, einbezieht. Damit geht dieser Ansatz weit über den sozialpolitischen hinaus.
Folgende Eckpunkte und Argumente müssten also Bestandteile einer humanen Flüchtlingspolitik sein:
Außen- und Wirtschaftspolitik
Alle deutschen Waffenlieferungen sind einzustellen – zunächst in Krisengebiete, dann generell und die daraus resultierenden beschäftigungspolitischen Auswirkungen sind durch eine aktive staatliche Wirtschaftspolitik auszugleichen.
Die Bundeswehreinsätze im Ausland sind zu überprüfen auf ihre humanitäre Schutzfunktionen, ggf. sind diverse Einsätze einzustellen.
Die deutsche Außenpolitik muss darauf hinarbeiten, bei den Westmächten und Russland das Einstellen aller direkten und indirekten Kampfhandlungen zu bewirken.
Entwickelt werden muss das Konzept eines Blauhelmeinsatzes der UN, um nicht umkämpfte Gebiete in Syrien und Irak zu sichern mit dem mittelfristigen Ziel, die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen.
Wir müssen unser Verhältnis zur Türkei zurückführen auf eine Sicht, die die anti-demokratische Entwicklung in der Türkei nicht verschweigt und sich durch die Flüchtlingssituation nicht erpressen lässt.
Sozialpolitik
Investitionen in kommunale Strukturen sind erforderlich, um Bibliotheken, Frei- und Hallenbäder zu erhalten, der Ausbau eines kostengünstigen ÖPNV ist voranzutreiben.
Es ist günstiges und bezahlbares Wohnen in den Städten und Gemeinden sicherzustellen.
Kostenlose Kitas müssen zur Verfügung gestellt werden. Ziel muss kostenfreie Bildung auf allen Stufen, von der Kita bis zur Universität sein.
Generell sind alle Güter der Daseinsvorsorge (Innere Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Verkehr, Wohnen, Energie) der staatlichen Verantwortung zu unterstellen.
Die Hartz-4-Sanktionspolitik wird eingestellt, es ist das Existenzminimum zu sichern.
Der Niedriglohnsektor wird reduziert durch das weitgehende Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen, die nur in restriktiven Ausnahmefällen erlaubt sein werden.
Generell werden Sozialhilfeempfänger gleich gestellt, ob Flüchtlinge oder Einheimische, der Mindestlohn gilt auch für Flüchtlinge.
Flüchtlinge und Asylbewerber sind bereits vor Ablauf von 15 Monaten mit der elektronischen Gesundheitskarte zu versorgen.
Europapolitik
Die Grenzen sind wieder zu öffnen, alle EU-Staaten werden zu einer humanen Asyl- und Flüchtlingspolitik verpflichtet.
Ein europaweites Konzept ist zu erarbeiten zur Rettung der Flüchtlinge im Mittelmeer, zur kurzfristigen Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge in Lagern an den EU-Grenzen.
Alle EU-Subventionen sind zu überprüfen auf Exportförderungen, die nachteilig für afrikanische Länder sind und deren eigene Entwicklung behindern. Das Konzept „Sichere Fluchtwege“ ist zu forcieren, indem sich Flüchtlinge an den Botschaften der EU-Länder anmelden können und einen Wartestatus bekommen.
Integrationspolitik
Treffen von deutschen Bevölkerungsgruppen mit Flüchtlingen müssen organisiert werden.
Die Aufklärung über den Status der Flüchtlinge ist erforderlich: Es wird kein Geld von den Renten oder Hartz-4-Empfängern zugunsten der Flüchtlinge abgezogen, Flüchtlinge bezahlen ihre Handygebühren selber, werden als Schwarzfahrer im MVV genauso belangt wie der Normalbürger, etc.
Alle Asyl einschränkenden gesetzlichen Maßnahmen, wie Asylpaket 1 und Asylpaket 2 sind zurückzunehmen. Das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ ist als inhuman abzulehnen, da das Asylrecht ein Individualrecht ist.
Zur Integrationspolitik gehört auch, dass der Bereich der inneren Sicherheit nicht der staatlichen und neoliberalen Sparpolitik untergeordnet wird. Die Verstärkung und entsprechende Ausbildung der Polizeikräfte ist zu forcieren.
Verpflichtende Bildungs- und Integrationsprogramme für alle Flüchtlinge sind zu etablieren und finanziell sowie personell gut auszustatten.
Asyl ist zu gewähren entsprechend der “Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[3]“. Ein Einwanderungsrecht hat alle weiteren Immigrationen zu regeln nach Kriterien der Humanität, der Ökonomie und des Bedarfs.
Humanität kennt keine Obergrenzen für Flüchtlinge. Diese verstoßen gegen die Verfassung.
Wir wissen, die Kriminalität der Flüchtlinge ist nicht höher als die der gesamten Bevölkerung.
Finanzpolitik, u.a. zur Finanzierung der Integrationspolitik
Die Politik der Schwarzen Null muss aufgegeben werden, Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuern sind zu erhöhen, indem für Einkommen die Spitzensteuersätze erhöht werden aber keine weitere Belastung von unteren und mittleren Einkommen erfolgt, indem die Vermögenssteuer wieder eingeführt wird und die Erbschaftssteuer bei moderaten Freibeträgen erhöht wird. Arbeit und Kapitalertäge müssen in gleicher Höhe besteuert werden, die Beitragsbemessungsgrenzen bei Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Pflegeversicherung sind zu erhöhen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile werden wieder gleich gestellt, womit eine Entlastung der unteren und mittleren Einkommen möglich wird.
Die Kommunen sind von Bund und Land für alle ihre sozialpolitischen Aufgaben finanziell ausreichend auszustatten.
Fluchtursachen
Eine gesellschaftliche Diskussion über die wahren Fluchtursachen muss angestoßen werden.
Zunächst muss die Behauptung, die mangelhafte humane Situation in den Flüchtlingslagern sei die vorrangige Fluchtursache, zurückgenommen werden.
Die wahren Fluchtursachen sind Kriege, Armut, ungerechte Handelsbeziehungen und der Klimawandel.
Nichtsdestotrotz müssen die WHO-Mittel für die Flüchtlingsunterbringung erhöht werden – die Kürzung der Etats war maßgeblicher Auslöser für die Flüchtlingsbewegung von der Osttürkei aus in die EU.
Vermehrt muss Aufklärung an den Schulen betrieben werden über Fluchtursachen und Möglichkeiten der Integration und Solidarität.
Im nationalen Rahmen ist die Energiepolitik verstärkt auszurichten auf die Vermeidung der fossilen Energie und die Nutzung der regenerativen Energie.
In der Landwirtschaft ist der agrar-industrielle Komplex zurückzuführen und es ist verstärkt auf regionalen Anbau und Nutzung von Lebensmitteln zu setzen.
Wir müssen nicht die Welt mit Lebensmitteln versorgen und den afrikanischen Ländern Raum und Zeit geben für die Entwicklung eigener Versorgungsstrukturen – auch durch die zugestandene Möglichkeit, Importzölle zu erheben.
Wir wissen, dass neun der zehn weltweit größten Flüchtlingslager in Ostafrika liegen.
Auch Axel Troost führt viele einzelne Punkte auf. Er beruft sich sogar auf den deutschen Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU),
der einen gesamteuropäischen Marshall-Plan für die Bewältigung der Flüchtlingskrise mit einem eigenständigen EU-Flüchtlingskommissar und Ende der Ausbeutung von Afrika fordert.
Mir ist klar, mit diesem Programm werde ich bei der Bundestagswahl 2017 keinen Blumentopf gewinnen. Aber es ist wichtig, die Positionen zum Thema festzuhalten.
Warum gelingt es so selten, klarzumachen, dass unser Wohlstand auf der Armut der Anderen beruht?
Warum glauben viele Menschen – gerade in Deutschland – dass Zäune mehr Sicherheit und Freiheit bringen?
Richtig ist: Ein Staat muss seine Grenzen sichern können, aber um welchen Preis? Eine geordnete und humane Flüchtlingspolitik erfordert legale Wege und die Bereitschaft, Fluchtursachen zu diskutieren und Folgerungen daraus zu ziehen.
Bildquelle: Metropolico.org[4] / CC BY-SA 2.0 [1]
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- Axel Troost: https://www.die-linke.de/politik/aktionen/archiv/2011/countdown-fuer-den-mindestlohn/informationen-stellungnahmen-und-presseerklaerungen/detail/zurueck/fluechtlingspolitik/artikel/soziale-spaltung-und-die-fluechtlingsfrage/
- Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: http://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=ger
- Metropolico.org: https://www.flickr.com/photos/95213174@N08/albums/72157640424582233
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