Ist Wohlstand ohne Wachstum möglich?

Am vergangenen Samstag bin ich im DGB-Haus gewesen. Das isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. hatte eingeladen:  Ist Wohlstand ohne Wachstum möglich? Aus dem Veranstaltungsflyer:

Im Kapitalismus gelten nur Werte, die auf dem Markt in Geld verwandelt werden können. Deshalb stehen die Profitinteressen über denen der vernünftigen Reproduktion von Mensch und Natur. In der kapitalistisch-fossilistischen Produktions- und Lebensweise dominiert in krisenhaften Sprüngen ein Wachstum, das vor allem von den transnationalen Konzernen des Energie- und Verkehrssektors und der Finanzindustrie dominiert wird. Gute Arbeit, gutes Klima, Gesundheit sind immer weniger zu bekommen. Auch der Frieden wird angesichts der globalen Jagd nach Ressourcen und der Kontrolle der Verkehrswege zu einem immer zerbrechlicheren Gut. Wir müssen unsere Lebensweise ändern, wenn wir menschlich überleben wollen.

Sehr interessant war das Eingangsreferat von Prof. Ulrich Brand (Uni Wien): “Mensch und Natur verlangen die Wachstumsbremse”. Brand ist Mitglied des Kuratoriums des Instituts Solidarische Moderne, eines Instituts, das sich als Programmwerkstatt für linke Politikkonzepte versteht und dies nicht nur parteipolitisch versteht, aber sicher eine wichtige Rolle für ein Rot-Rot-Grünes Projekt auf Bundesebene spielen kann.

Prof. Ulrich Brand ist Sachverständiger der Enquete-Kommission “Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft” gewesen, die 2013 ihren Abschlussbericht vorgelegt hat.

Einen Einblick in seine Thesen gab er bei dem Vortrag am 10.3.2014 im Wissensturm Linz im Rahmen der Vortragsreihe “Wachstum wohin”:

Die Konzentration auf den Begriff Wachstum ist schon verkehrt. Es geht nicht um die simple Frage des Weniger, der Reduktion (was im Ressourcenverbrauch allerdings dringend notwendig ist), es geht auch nicht um “grünes Wachstum”, den “Green New Deal”, wenn wir aus der Falle raus wollen. Gerade Wachstum, was wir in der Nachkriegszeit als Stabilitätsfaktor erlebt haben, wird zunehmend zur Gefahr. Ulrich Brand plädiert dafür, stattdessen über Fortschritt und Wohlstand nachzudenken und dafür konkrete Ziele in einem demokratischen Prozess zu definieren.

Wesentliche Erkenntnis für mich: wir müssen radikal umdenken und umlenken, um uns und unseren Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Wo brauchen wir noch Wachstum? Und wenn ja, wozu? Wo brauchen wir es nicht mehr (Stichwort Extraktivismus), wo dürfen wir es (uns) nicht mehr erlauben und vor allem, wie können wir dies sozial und demokratisch gestalten?

 

Drucken

This page as PDF

4 Gedanken zu „Ist Wohlstand ohne Wachstum möglich?

  1. Ludger Elmer

    Das ISW – Forum sprach alle Probleme dieser Erde an: Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Armut, Finanzkrisen, Klimawandel, Ausbeutung von Ressourcen, globaler Kapitalismus und entwickelte daraus die Forderung nach einer sozial-ökologischen nachhaltigen Gesellschaft. Wie eine Transformation zu Wohlstand ohne Wachstum möglich sein soll, davon war konkret nicht die Rede. Konsumkritik gab es lediglich sporadisch, wenn es hieß, das alles etwas zu tun habe mit der Art, wie wir uns bewegen, wie wir uns ernähren, wie wir uns kleiden, wie wir kommunizieren, also wie wir in unserer Kultur leben.
    Welzer’s Ansatz ist total anders: Es ist keine Frage von LINKS oder RECHTS, sondern eine Frage, wie wir leben wollen, ohne immer mehr zu konsumieren und die endlichen Ressourcen zu verbrauchen. Wir müssen neue Wege ausprobieren, wie zum Beispiel Tauschbörsen oder Carsharing. Es müssen lt. Welzer nur 3 – 5% der Bevölkerung – aus allen Schichten bis in die Feuillletons – überzeugt und aktiv sein, so wie die “Stromrebellen” aus Schönau, die damals verlacht wurden, heute aber ihre Region ausschliesslich mit regenerativer Energie versorgen. Das hat begonnen vor 50 Jahren und wer hätte damals gedacht, daß wir heute auf einem guten, aber sicherlich noch steinigem Weg in eine regenerative zukünftige Energieversorgung sind?
    Welzer’s positives Zukunfts – Szenario bedeutet: Es wird weniger gearbeitet, weil weniger produziert, Produktivitätsfortschritte führen nicht zum Abbau von Arbeitsplätzen, sondern zur Verkürzung der Arbeitszeit, Aufsteiger des nächsten Jahrzehnts sind Reparierer, Renovierer, Re-Designer, Provider, Share-Trader.
    Wissenschaft, Wirtschaft und die Politik, also die Parteien werden aus vielfältigen Gründen nicht in der Lage sein, den Transformationsprozess zu entwickeln, anzustoßen und umzusetzen.
    Das negative Szenario heisst, wir führen ständig Kriege um Rohstoffe, was wir ja heute schon tun.

  2. Andreas Schlutter Beitragsautor

    Ich schätze Harald Welzer ja auch – und lese gerade sein Buch “Selbst Denken”. Manchmal habe ich so das Gefühl, das Buch ist ideal, um leicht ökologisch angehauchten neuen Bildungsbürgern und Bildungsbürgerinnen ins Gewissen zu reden. Diese letztlich verantwortungslose Entschuldigung für das eigene Nichtstun (“was ändert das denn, wenn ich etwas ändere, wo doch alle anderen weitermachen wie bisher?”) wird schonungslos entlarvt und jede/r wird aufgefordert, den eigenen kleinen Teil an Verantwortung wahrzunehmen.
    Aber hat sich der Grundwiderspruch des Kapitalismus denn tatsächlich erledigt? Gerade mal vor drei Jahren hat Frank Schirrmacher seinen schon legendären Artikel veröffentlicht: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat
    Die großen internationalen Konzerne tun alles dafür, ihre Profite zu maximieren, sie sind dazu verdammt um den Preis des eigenen Untergangs. Und durch die Konzentration, die auch Welzer in seinem Buch benennt, haben sie Macht, zu viel Macht. Um eine Entscheidung in dieser Machtfrage werden wir nicht herumkommen. Mit Ölkonzernen, die den Extraktivismus gerade verschärfen (sh. z.B. Fracking), wird es keinen gemeinsamen Weg in die Zukunft geben. Auch mit Apple oder Samsung ist ein auf lange Lebensdauer und Reperaturfreundlichkeit ausgelegtes Mobiltelefon kaum denkbar – der ökonomische Druck der Shareholder zwingt sie zu anderen Entscheidungen. Gewinnerwartungen hoch = alles gut.
    Ich erinnere mich zudem noch sehr lebhaft an die Argumente von Uwe Fritsch, VW-Betriebsratsvorsitzender in Braunschweig, auf der ISW-Veranstaltung, der – mit einem durchaus kritischen, aber realistischen Blick auf seine Kollegen – gesagt hat, dass man die Gewerkschaften gegen sich haben wird, wenn man bei einem sozial-ökologischen Umbau die Interessen der Belegschaften in den großen Industriebetrieben nicht berücksichtigt.
    Deshalb die Überlegung: ist Harald Welzers Buch für diejenigen hoffentlich handlungsleitend, die individuell für sich derzeit die soziale Frage als gelöst betrachten und die ihre Sorge um die Zukunft für den eigenen Nachwuchs endlich mal in Konflikt bringen müssen mit dem Fahren eines viel zu großen Autos? Und für die, die völlig verdrängt haben, dass sie tatsächlich Entscheidungen treffen, wenn sie sich neue Schuhe kaufen? Es gibt halt Einwegschuhe und solche, die man auch zwei-, drei- oder viermal beim Schuster in der Nähe richten lassen kann. Und diese Entscheidung ist relevant, weil sie etwas mit einem persönlichen Beitrag zur Veränderung der Welt zu tun hat.
    Ich sehe unterschiedliche Zielgruppen, finde auch manche Ideen von Harald Welzer vernünftig und richtig, aber der Widerspruch von Kapital und Arbeit bleibt. Entweder das Geld geht zum Leiharbeiter, zum Minijobber, zum Niedriglöhner, um seine prekäre Situation zu beenden, oder aber es geht zu den Banken, Fonds etc., die Renditeerwartungen erfüllt sehen wollen. Und derzeit ist klar, wer gewinnt. Und dass dabei so nebenbei die Zukunftsmöglichkeiten für ein gutes leben immer weiter eingeschränkt werden.

    1. Ludger Elmer

      Der Widerspruch – oder die Auflösung des Widerspruchs zwischen Arbeit und Kapital – wird hier nicht weiterhelfen. Wenn ein angemessener Verdienst für alle Beschäftigten erreicht würde, wenn also die Lohnquote wieder steigen würde, dann hätten wir doch bei der hohen Konsumquote der abhängig Beschäftigten noch mehr an Extraktivismus, also an Verbrauch und Ausbeutung von Natur, von Wald, Wasser und Boden.
      Nein, es muss sich schon grundsätzlich etwas ändern im Konsumverhalten und solange wir mehrdimensional alle Fragen in einen Topf werfen, weil ja alles miteinander zu tun hat, kommen wir nicht weiter. Wir müssen auch mal in der Lage sein, Themen zu diskutieren, ohne ständig die soziale Lage mit heranzuziehen, dass heisst noch lange nicht, dass wir sie akzeptieren.
      Die globalen Konzerne werden nicht aufhören, weiter und tiefer – nach Öl – zu bohren oder nach Gas zu fracken, wenn wir diese Stoffe weiterhin durch unseren Konsum nachfragen. Das dürfen wir auch dem Wohlstandbürger sagen, der eben sogar für den Ausstieg aus der Atomenergie votiert hat.
      Den erhobenen Zeigefinger („Du sollst dir aber ja die richtigen Schuhe kaufen!“), den sollten wir uns wirklich abschminken. Die besten Beispiele für diesen sog. Ökoterrorismus waren doch die gescheiterten Kampagnen, für den Liter Benzin 5 DM zu verlangen oder in Deutschlands Kantinen den Veggie Day (so vernünftig er auch sein würde) einzuführen.
      Und es sind nicht die Gewerkschafter, die gegen eine Reduzierung der Autonutzung sind, sondern die Arbeitnehmer, die die Betroffenen sein werden!

      Welzer macht das Problem deutlich in seinem nach wie vor lesenswerten Essay aus dem Jahre 2010:

      (https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2010/juni/die-magie-des-wachstums)

      „ … Dabei ist das Problem nicht ein spezifischer Typ von Antrieb zur Ver-
      wirklichung von Mobilitätsvorstellungen, sondern das Konzept von Mobilität,
      dem die Bewohner moderner Gesellschaften huldigen. Nicht nur sie selbst
      halten es für sinnvoll und normal, ausgerechnet in Zeiten ungeahnter und
      weltumspannender Kommunikationsmöglichkeiten pausenlos unterwegs zu
      sein, sondern schicken auch die Waren und Güter, die sie zu benötigen glauben,
      auf so unendliche Reisen, dass ein Apfel schon 10 000 Kilometer zurückgelegt
      haben kann, bevor er gegessen oder in der Tonne für Ökoabfälle entsorgt
      wird, weil er überflüssigerweise gekauft wurde. … „

      Aber wir können genauso wenig die Produktion und den Export von Waffen oder die immensen Umweltschäden der Braunkohleförderung mit Beschäftigung und Arbeitsplätzen begründen.
      Und wer in der Politik traut sich, in allen drei Fällen (Automobile, Waffen, Braunkohle) ein mittelfristiges Ausstiegsszenario zu formulieren?

      Versuchen wir doch folgendes, daß wir uns auf die Suche machen nach guten Beispielen und Initiativen und diese publik machen, wie etwa
      • Carsharing funktioniert nicht nur – aber besonders gut – in Vaterstetten bei München (mehr darüber später)
      • Bundesweite Tauschringe
      • Das Baukonzept Cradle2Cradle (C2C)
      • Die GLS – Bank
      • Die Genossenschaften – und Raiffeisenbanken
      • Die Schweizer Bundesbahn
      • Der BundNatur kümmert sich nicht nur um Bienen und Biotope
      • Und … und … und

      Übrigens: Schirrmacher hat in dem o.a. Aufsatz kein Wort über die Ressourcenbelastung verloren, sondern sich wohl vorwiegend auf die Finanzkrise und ihre angestrebte Überwindung durch die Rettung der Banken bezogen.

      1. Andreas Schlutter Beitragsautor

        Nun ja, die Lohnquote kann ja auf zwei Wege steigen. Nämlich auch, wenn die Wirtschaft schrumpft, die Beschäftigten im gleichen Umfang ihre Arbeitszeit bei gleichbleibenden Löhnen reduzieren, die Vermögen zur Finanzierung von Gemeinwohlazfgaben viel stärker herangezogen werden.
        Worauf will ich hinaus? In einer Gesellschaft, in der die Einkommensschere immer weiter auseinander geht, verteilen sich die Lebenschancen zunehmend ungleicher, die Zufriedenheit der Gesellschaft nimmt rapide ab. Richard Wilkinson und Kate Pickett haben dies eindrucksvoll in ihrem Buch “Gleichheit ist Glück” belegt.
        Insofern ist es nicht möglich, diejenigen, die sich in dieser Gesellschaft als Verlierer sehen (und objektiv als “arm” gelten, also z.B. laut WHO und OECD weniger als 50 % vom Median des Netto-Äquivalenzeinkommens zur Verfügung haben), freiwillig über Einsicht zu weiterem Verzicht zu bewegen. Dafür müssen wir zwingend an die Verteilungsfrage ran, wenn wir die ökologische Herausforderung in einem demokratischen System angehen wollen.

        Ich glaube, beide Ansätze (von Brand und Sabine Leidig einerseits und von Welzer andererseits) sollten wir nicht gegeneinander diskutieren. Wie gesagt, es geht um unterschiedliche Adressaten innerhalb der Gesellschaft. Welzer wendet sich an das Individuum und sagt: Du kannst was tun, du trägst Verantwortung für dich und es ist Quatsch, dass du allein bist. red dich nicht länger raus, sondern nimm dich ernst. Und bei Brand, leidig und anderen umweltpolitisch denkenden Linken geht es um Strategien, die ökologische und die soziale Frage zusammenzubinden, um gegen die großen Konzerne und ihr Modell des ausbeutenden Wirtschaftens auf Kosten der Zunkunft handlungsfähig zu werden.

        Noch ein Satz zu den Schuhen: natürlich geht es nicht um Verbote, sondern um das Überdenken der eigenen Kaufentscheidungen. Manchmal bedarf es allerdings auch gesetzlicher Regelungen, die wir bei direkten Gesundheitsgefahren in der Regel meistens alle begrüßen. Für die Durchsetzungsfähigkeit einfacher natürlich, wenn es “aus der Mitte der Gesellschaft” kommt, also jenen 3-5 % aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, wie Welzer es benennt. Aber zum Beispiel die Erweiterung der gesetzlichen Gewährleistungspflicht allein auf drei (oder vier, fünf) Jahre wäre ein schon ein kleiner, aber wichtiger Schritt gegen geplante Obsoleszenz und somit ein Schritt in die von uns gewünschte Richtung, den der Gesetzgeber gehen kann.

Kommentare sind geschlossen.