„So schlecht kann es denen ja gar nicht gehen. Die laufen ja alle mit Handys herum.“ Bei so viel emotionaler Inkompetenz konnte ich nur mit den Augen rollen und ergriff das Wort.
Von Oliver Hofmann
Es gibt Momente, da muss ich stark mit mir kämpfen, um nicht aus meiner Hose zu hüpfen. Gerade wenn es um Vorurteile und Ungerechtigkeiten geht, habe ich nicht immer die nötige Distanz, um ruhig zu bleiben. So auch neulich, als ich ein Gespräch mitverfolgen musste, bei dem sich die anwesenden Herren über die Flüchtlinge unterhielten, die im Moment ihr vorläufiges Lager in der Lüneburger Heide bezogen haben.
„So schlecht kann es denen ja gar nicht gehen“, hörte ich einen der Herren sagen. Ich wurde hellhörig und lauschte sehr aufmerksam der Begründung zu dieser These. „Die laufen ja alle mit Handys herum.“ Bei so viel emotionaler Inkompetenz konnte ich nur mit den Augen rollen und ergriff das Wort. „Ein Handy ist also für dich ein Symbol des Wohlstandes?“, wollte ich wissen. Er nickte und ich sah den Blick in seinem Gesicht, der fragte, warum ich mich jetzt in diese Unterhaltung einmischte. „Aha“, beantwortete ich sein Nicken und wandte mich ab. „Natürlich hat ein Handy mit Wohlstand zu tun“, rief er zu mir rüber. „Schließlich kann sich ja nicht jeder ein Handy leisten.“ Ich merkte, wie die Zornesröte in mir aufstieg und ich drehte mich erneut zu dem Stammtischpolitiker mit seinem populistischen Halbwissen.
„Okay“, begann ich ganz ruhig. „Jetzt stell dir mal vor, dass diesen Menschen nur ihr Mobiltelefon geblieben ist. Viele der Flüchtlinge hatten vorher ein Haus, vielleicht sogar mit Garten. Sie hatten einen Job, Familie, ein Auto. Sie hatten einen Fernseher und einen Kühlschrank, ein eigenes Bett und vielleicht sogar ein Haustier. Aber das alles haben sie jetzt nicht mehr. Alles, was sie auf ihrer Flucht mitnehmen konnten, passt in eine Plastiktüte. Und das Handy ist der letzte seidene Faden, der sie noch mit den anderen Familienmitgliedern verbindet.“
Die anderen Männer der Runde sahen betreten auf den Boden und schwiegen. Mein Diskussionspartner allerdings brachte neue Argumente an. „Wenn sie so viel hatten, warum sind sie dann hierher gekommen und belasten unser Sozialsystem?“ Ich schüttelte den Kopf und überlegte mir kurz, ob es überhaupt einen Sinn machte, mit diesem Typen weiter zu diskutieren. Bevor ich bei dieser Frage auf eine Antwort kommen konnte, öffnete sich schon wieder mein Mund: „Weil in deren Ländern Krieg herrscht. Dort steht kaum noch ein Stein auf dem anderen, die Familien leben in Angst und Schrecken und müssen immer damit rechnen, erschossen, gefoltert oder versklavt zu werden.“ „Und deshalb müssen die zu uns in die Lüneburger Heide kommen“, fragt mein Gegenüber provokativ und patzig.
In diesem Augenblick schoss mir eine Zeile aus Grönemeyers Lied „Was soll das?“ durch meine grauen Windungen: „Meine Faust will unbedingt in sein Gesicht und darf nicht“.
Ich versuchte es noch einmal auf der emotionalen Ebene, um dem Menschen mit dem gefährlichen Gedankengut von seinem eingeschlagenen Weg abzubringen: „Stell dir vor, hier wäre Krieg. Alles liegt in Trümmern. Deine Frau und deine zwei Kinder sind hier nicht mehr sicher. Was würdest du tun?“ Er schaute mich mit einem verwirrten Gesichtsausdruck an: „Ich würde versuchen, sie in Sicherheit zu bringen.“ „Und wenn dein Auto zerstört wurde, die Infrastruktur zusammengebrochen ist und es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt?“ „Dann würde ich eben zu Fuß gehen“, kam es prompt. Er schien immer noch nicht zu wissen, worauf ich hinauswollte, also fuhr ich fort. „Aber dann könntest du nicht viel mitnehmen. Für was würdest du dich entscheiden?“ Er überlegte kurz und antwortete: „Meine Papiere, Ausweise und Urkunden, etwas Proviant und mein Handy, damit ich mit meiner Familie in Verbindung bleiben kann.“ Die letzten Worte kamen leise und langsam aus seinem Mund. „Siehst du, Beweisführung abgeschlossen. Und was würdest du sagen, wenn man dich dann als Kriegsflüchtling in einen Wohncontainer stecken würde, weit weg von den Einheimischen, weil du sie sonst belästigen könntest, und dann kommt einer und sagt, dass es dir ja gut geht, weil du ein Handy hast?“ Die Stille zeigte mir, dass die Nachricht angekommen war. Doch die Zufriedenheit, die sich wegen des gerade errungenen Sieges einstellte, wich sofort einer gewissen Angst. So wie er denken bestimmt viele.
Und jetzt kommen sie ins Spiel, meine lieben Leserinnen und Leser. Wenn sie auch solche Dummheiten in ihrem Umfeld hören, dann schreiten sie ein und diskutieren sie, bis auch der letzte versteht: die meisten Flüchtlinge würden viel lieber in ihrer Heimat wohnen. Und wenn sie jetzt sagen, sie wüssten nicht, was sie solchen Leuten entgegnen sollen – sie müssen sich nur in die Lage der Flüchtlinge versetzen. Dann werden ihnen die Argumente in solchen Zwiegesprächen sicher niemals ausgehen. Vielen Dank für Ihre Zivilcourage.
Zuvor erschienen bei “MiGAZIN – Migration und Integration in Deutschland[2]“, Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors. Außerdem ist der Beitrag auf der Facebook-Seite [1] von Oliver Hofmann zu finden.
Bildquelle: Sascha Kohlmann[3] / CC BY-SA 2.0[4] bearb. MiG
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- MiGAZIN – Migration und Integration in Deutschland: http://www.migazin.de/2015/06/17/fluechtlinge-haben-handys/
- Sascha Kohlmann: https://www.flickr.com/photos/skohlmann/
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