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Offener Brief an den CDU-Abgeordneten Carsten Linnemann

Sehr geehrter Herr Linnemann[1]!

Mit großem Interesse habe ich ihre Diskussion mit Prof. Peter Bofinger in der Phönix-Runde [2]am 17.11. (von 22:28 bis 22:48 Uhr Originalzeit / MEZ) verfolgt. Zunächst habe ich Ihren Mut bewundert, sich dem Volkswirt Bofinger in einer Diskussion zu stellen. Nachdem ich aber nun festgestellt habe, dass sie in Volkswirtschaftslehre promoviert haben, ist mein Verständnis für Ihre Argumentation noch einmal gesunken. Ich will versuchen, das in einigen Punkten auszudrücken:
1) Haben wir nicht genügend Strukturreformen (z.B. Agenda 2010, Niedriglohnsektor) in Deutschland gehabt?
2) Ist bei den niedrigen Zinsen, die wir haben, wirklich die Psychologie, wie Sie sagen, noch entscheidend?
3) Oder ist das Beispiel Japan (Unternehmen investieren ihre Gewinne nicht mehr, sitzen auf riesigen Geldvermögen, weil die Nachfrage fehlt, und die dortige Fiskalpolitik versucht, die Nachfragelücke zu schließen), über das Sie ja diskutiert hatten, nicht ein warnendes?
4) Was bedeutet es, dass wir in Deutschland hohe Ersparnisse, vorwiegend angelegt in Geldvermögen, haben?
5) Warum investieren weder der Staat noch die Wirtschaft, wenn doch der Investitionsbedarf so groß ist – sie räumen das ja ein – und die Zinsen so niedrig?
6) Der Staat hat sich der „Schwarzen Null“ verschrieben, weil die Staatsverschuldung – heute in Deutschland 75% vom BIP – angeblich zu groß sei.
7) Die Unternehmen investieren nicht, weil sie keine Steigerung der privaten Nachfrage erwarten.
8) Wenn sowohl der Staat als auch die Wirtschaft sparen und nicht investieren, dann bleiben auch die Zinsen niedrig und die Ersparnisse der Bürger werden entwertet.
9) Die Geschichte von der schwäbischen Hausfrau kennen Sie sicherlich! Diese ist als Privathaushalt in der Lage, temporäre Einkommenseinbußen durch Sparleistungen auszugleichen. Das sieht eben beim Staat und der Wirtschaft ganz anders aus!
10) Gerade als Vertreter des Mittelstandes wissen Sie doch, welche Bedeutung die Basis-Investitionen (Verkehr, Bildung, Digitale Netze, Energiewende) für die Wirtschaft haben. Deutschland liegt im OECD-Ranking der Bildungsausgaben weiter auf einem der hinteren Plätze und in keinem Land in Europa sind die Bildungschancen so sehr von der sozialen Herkunft abhängig wie in Deutschland.
11) Haben Sie wirklich nicht gewusst, dass die Unternehmen allenfalls eine Eigenkapitalquote von 25% haben und diese deswegen auch ständig umschulden, so wie es der Staat tut?
12) War Ihnen wirklich nicht bewusst, dass sich staatliche Investitionen für Konsumausgaben verbieten?
13) Haben Sie in ihrer Zeit bei der Deutschen Bank und der IKB vergessen oder verdrängt, welche immensen Schäden die Finanzmarktspekulationen angerichtet haben, wieviel Geld und Ersparnisse vernichtet worden sind?
14) Ist die „Schwarze Null“ wirklich nur ein Symbol oder steht sie für verpasste Zukunftschancen?
15) Sind wir nicht einig darin, dass wir zwar Schulden und Vermögen gleichzeitig vererben – zu jeder Schuldenuhr gehört eine Vermögensuhr! – aber wir umso mehr die aufgebaute Infrastruktur (Schulen, Universitäten, Kindergärten, Kitas, Innere Sicherheit, Krankenhäuser, etc.) an unsere Kinder und Enkel vererben?
16) In einer staatlichen Konjunktur- und Wachstumspolitik sind Ziele wie Vollbeschäftigung, Preisniveaustabilität, angemessenes Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht vorgegeben: ja ich erinnere mich noch an die Globalsteuerung von Karl Schiller und Franz-Josef Strauß in den 70’er Jahren.
17) Volkswirtschaftliche Steuerung bedeutet, sowohl die Angebotsseite als auch die Nachfrageseite zu beachten: Das heißt doch, dass wir eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik – Lohnsteigerungen entsprechend der gestiegenen Produktivität plus Inflationsrate – fördern müssen, um die Nachfrage und die Investitionen anzureizen.
18) Die deutsche Staatsverschuldung in dem oben geschilderten Ausmaß (75% vom BIP) lässt sich im wesentlichen auf zwei Ursachen zurückführen:
19) Die Kosten der Wiedervereinigung: Der Staathaushalt hat seitdem ca 80 Mrd € an jährlichen Rentenzahlungen (im Ausgleich zu den sog. versicherungsfremden Leistungen) übernommen. Man muss das nicht unbedingt kritisieren, aber wir sollten auch nicht ständig die sozialen Leistungen für die Staatsverschuldung verantwortlich machen.
20) Die Rettung der Banken, u.a. der HRE, die als systemrelevant definiert wurden, obwohl gerade im Falle dieser Bank Hunderte von in- und ausländischen Gläubigern entschädigt wurden.
21) Sie haben selbst in der o.a. Diskussion darauf hingewiesen, dass sie volkswirtschaftlich einer Herausforderung mit dem Professor nicht gewachsen seien. Allerdings, einige volkswirtschaftliche Argumente, wie z.B.
o produktivitätsorientierte Lohnpolitik
o die wichtige Rolle des Staates
o Angebots- und Nachfragepolitik
o Zusammenhang zwischen Sparen, Investieren und Verschulden
sollten Ihrem politischen Weltbild guttun. Und das wäre auch gut für den deutschen Mittelstand.

Ich erlaube mir, drei Beiträge zu den Themen Niedrige Zinsen, Staatsschulden und Sparpolitik beizufügen:

a) Warum die Zinsen so niedrig sind[3]

b) Das Märchen von der Staatsschuldenkrise[4]

c) Warum Sparen falsch ist[5]

Ich wünsche frohe Erkenntnis beim Lesen und freue mich auf Ihr Feedback!
Mit freundlichem Gruß!
Ludger Elmer

 

Endnotes:
  1. Linnemann: http://www.carsten-linnemann.de/content/lebenslauf
  2. Diskussion mit Prof. Peter Bofinger in der Phönix-Runde : http://www.phoenix.de/content/891242
  3. Warum die Zinsen so niedrig sind: http://nachdenken-in-muenchen.de/?p=1314
  4. Das Märchen von der Staatsschuldenkrise: http://nachdenken-in-muenchen.de/?p=860
  5. Warum Sparen falsch ist: http://nachdenken-in-muenchen.de/?p=887