Schachspielen mit der Ukraine

Die Ost–Erweiterung der NATO ist seit 1990 stetig vorangeschritten. Die baltischen Staaten, Polen und Ungarn, Tschechien und die Slowakei, Rumänien und Bulgarien, die alle Mitgliedsstaaten im damaligen sog. Ostblock waren, sind heute Mitglieder in der NATO. Vor diesem Hintergrund ist der Bürgerkrieg in der Ukraine einzuordnen.
Welches sind die wirklichen Ziele des Westens, der NATO, der USA im Konflikt um die Ukraine?
Der Publizist und Geschichtsphilosoph Hauke Ritz hat sich intensiv mit den Werken von Zbigniew Brzezinki befasst.

” Der 1928 in Warschau geborene Zbigniew Brzezinski gilt neben Henry M. Kissinger und Samuel P. Huntington als graue Eminenz unter den US-Geostrategen. Er trägt durch seine Beratertätigkeit für US-Präsident James Carter von 1977 bis 1981 u. a. eine Mitverantwortung an der Talibanisierung Afghanistans, unterstützten die Vereinigten Staaten doch die Mudschaheddin massiv im Kampf gegen die UdSSR. Nach Brzezinskis Bekunden wollten die USA die Sowjetunion in die »afghanische Falle« locken und ihnen so »ihr Vietnam« bereiten. Heute ist er Professor für Amerikanische Außenpolitik an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, Berater am Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington D.C. und Verfasser von politischen Sachbüchern. Daneben betätigt sich Brzezinski als Berater für mehrere große US-amerikanische und internationale Unternehmen. Unlängst geriet er wieder in die Schlagzeilen, als über die Medien verbreitet wurde, daß er in das außenpolitische Team des US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama eingetreten ist.”

Quelle: AG Friedensforschung

Hier ein Auszug aus einem Artikel von Hauke Ritz, der im Hintergrund veröffentlicht wurde.

„Die USA streben an, ihren Einfluss auf dem asiatischen Kontinent immer weiter auszudehnen. Dabei dient ihnen Europa als Sprungbrett auf den eurasischen Kontinent. Da jede Osterweiterung Europas unter den gegebenen Umständen zugleich auch den amerikanischen Einfluss ausdehnt, sollen durch eine Kombination aus EU-Osterweiterung und Expansion der NATO viele der ehemaligen Sowjetrepubliken – wie zum Beispiel Georgien, Aserbaidschan und Usbekistan – in die westliche Einflusszone integriert werden. Maßgeblich für diese Integration ist, dass sich ein Land für ausländisches Kapital öffnet und an das westliche Rechtsverständnis anpasst. Geschieht dies, dann ist es westlichen Konzernen möglich, sich die Rohstoffvorkommen zu sichern und über die Medien Einfluss auf die Öffentlichkeit eines Landes zu gewinnen. Da die Region um das Kaspische Meer über die zweitgrößten Öl- und Gasreserven verfügt und zudem militärstrategisch von besonderer Bedeutung ist, könnte eine westliche Vormachtstellung in dieser Region die Position der USA auf dem eurasischen Kontinent massiv stärken. Zusammen mit der Kontrolle der US-verbündeten OPEC-Staaten Kuwait, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Katar und den eroberten Staaten Irak und Afghanistan könnte so eine Vorherrschaft der USA über Zentralasien ihnen die nötige Autorität verleihen, um von dort schließlich ganz Eurasien, einschließlich Chinas und Russlands, in eine von den USA entworfene überstaatliche Sicherheitsstruktur zu integrieren. Die von Europa ausgehende NATO-Osterweiterung und die von der Bush-Administration im Süden Eurasiens (Irak, Afghanistan) begonnenen militärischen Interventionen bilden zusammen gewissermaßen einen Keil, mit dem die USA in das Herz der eurasischen Landmasse vorstoßen.“

Sehr aufschlussreich sind auch die Ausführungen zum geplanten Raketenabwehrschirm, den die NATO in Polen und in Tschechien errichten möchte, angeblich gegen Angriffe des Irans, der aber über gar keine so weit reichenden Waffensysteme verfügt. Die Amerikaner haben das russische Angebot, gemeinsam einen Abwehrschild in Aserbeidschan aufzubauen, abgelehnt.
Strategisch geht es hier folglich um die Dominanz der Nato, eine nukleare Erstschlagskapazität aufzubauen, weil mit dem Raketenschild ein russischer Zweitschlag nach einem amerikanischen Überraschungsangriff abgefangen werden könnte.

„Dieser Artikel führt vor Augen, worin die eigentliche Funktion des Raketenschildes besteht. Er soll die USA in die Lage versetzen, einen Atomkrieg zu führen, ohne selbst von Gegenschlägen getroffen zu werden. Wäre diese Fähigkeit erst einmal erworben, ließe sie sich als geopolitisches Druckmittel verwenden, um Interessen durchzusetzen. Zudem könnte eine absolute nukleare Überlegenheit dazu dienen, einen Machtverlust auf wirtschaftlichem oder finanzpolitischem Gebiet auszugleichen.“

Einen sehr bemerkenswerten Beitrag – angesichts der vielen aggressiven Artikel im deutschen Medien–Mainstream – schreibt Gabor Steingart im Handelsblatt.
Hier ein Auszug, in dem wir auch eine Empfehlung „unseres“ amerikanischen Sicherheitsberaters Zbigniew Brzezinski wiederfinden:

„Die Staats- und Regierungschefs des Westens haben im Angesicht der kriegerischen Ereignisse auf der Krim und in der Ost-Ukraine plötzlich keine Fragen mehr, nur noch Antworten. Im US-Kongress wird offen über die Bewaffnung der Ukraine diskutiert. Der ehemalige Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski empfiehlt, die dortigen Bürger für den Häuser- und Straßenkampf auszurüsten. Die deutsche Kanzlerin redet, wie es ihre Art ist, weniger deutlich, aber nicht weniger unheilvoll: „Wir sind bereit, tiefgreifende Maßnahmen zu ergreifen.“

Warum ist es eigentlich so, daß die Ex–Kanzler und Elder Statesmen, wie Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Erhard Eppler, selbst Helmut Kohl mahnen, auch die russische Seite zu sehen und deren Interessen in der Ukraine und auf der Krim zu berücksichtigen? Sind diese womöglich die einzigen, die es wagen, öffentlich den medialen Rechtsauslegern zu widersprechen?

Steingart führt aus:
„Hier kann es nur darum gehen, der bisherigen Debatte den Schaum abzuwischen, den Scharfmachern und Scharfgemachten die Worte aus dem Munde zu nehmen und neue Vokabeln auf die Zunge zu legen. Eine zum Beispiel, die wir lange nicht mehr benutzt haben, heißt Realismus.
Europa fehlt mit seiner Politik der Eskalation nämlich genau das, ein realistisches Ziel. Für Amerika sieht das anders aus, weil hier das Drohen und sich Aufplustern Teil des Vorwahlkampfes ist. Wenn Hillary Clinton Putin mit Hitler vergleicht, dann tut sie das um republikanische Stammwähler, also Menschen ohne Auslandsausweis, für sich einzunehmen. Für viele von ihnen ist Hitler der einzige Ausländer, den sie kennen, weshalb Adolf Putin eine gut ausgedachte Wahlkampffigur ist. Insofern haben Clinton und Obama ein realistisches Ziel: sich daheim beliebt machen, Wahlen gewinnen, die demokratische Präsidentschaft sichern.“

Musste es in der Ukraine so weit kommen? Immerhin haben dort über 200 NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) aus der EU und aus den USA seit Jahren nicht nur für die – angeblich – westlichen Ideale geworben, sondern auch den Boden bereitet für die mediale und wirtschaftliche Einvernahme der Ukraine. Und die Antwort auf die oft gestellte Frage „wer hat auf dem Maidan geschossen“ muß davon ausgehen, daß die Ukrainer nicht auf ihre eigenen Landsleute geschossen haben. Waren es ausländische Söldner? Seltsam, daß die Vorgänge auf dem Maidan, der fürchterliche Angriff auf das Gewerkschaftshaus in Odessa, der Absturz der MH17 nicht aufgeklärt werden.

Der Tagesanzeiger schreibt unter dem Titel „In der Krimkrise ist das Verhalten der USA zum Bumerang geworden“:

„ … Von Afghanistan über den Irak bis zur Ukraine: Die Aussenpolitik der USA sei nicht durchdacht, sagt Paul Pillar, einst Topanalyst der CIA. Die amerikanische Überzeugung, einzigartig zu sein, sei ein Problem. …“

Und weiter:

„ Er [Jimmy Carter] sagte, das Endergebnis auf der Krim sei unvermeidlich gewesen. Um einen anderen Ausgang zu erzielen, müsste man viel weiter als die fünf Amtsjahre von Barack Obama zurückgehen – nämlich zu der Zeit, als die Nato nach Osten expandierte. Damals wurden einige schwerwiegende Fehler begangen. Und diese Fehler wurden während der Präsidentschaft George W. Bushs wiederholt, als darüber geredet wurde, auch die Ukraine und Georgien in die Nato aufzunehmen. Wer auch nur das geringste Gespür für russische Sensibilitäten hatte, konnte voraussagen, dass so etwas wie jetzt passieren würde.“

Und Paul Pillar weiter:

„Triumphalismus ist schon das richtige Wort dafür  [für die Haltung Washingtons]. Die Administration von George W. Bush zeigte das besonders eindrücklich, aber dahinter steckt eine allgemeine amerikanische Art des Denkens und wie man auf den Rest der Welt blickt. Dabei geht es stets um Verlierer und Gewinner, um gute Figuren und böse Figuren. Die vorherrschende Stimmung in den Vereinigten Staaten war, dass wir den Kalten Krieg gewonnen haben.“

„Gute und böse Figuren“, das erinnert an den Titel eins der Bücher von Zbigniew Brzezinki „The Grand Chessboard“ – erschienen 1998. Ein anderes heißt „Die einzige Weltmacht“ und stammt aus dem Jahre 2004.

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Ein Gedanke zu „Schachspielen mit der Ukraine

  1. Ludger Elmer Beitragsautor

    Peter Scholl-Latour, der Auslandsreporter und Autor, ist gestorben.
    “In seinen letzten Lebenstagen verteidigte er Putin als geschickten und klugen Politiker, der immerhin 80 Prozent der Bevölkerung hinter sich habe. Nur seine KGB-Vergangenheit, die ihm oft vorgeworfen werde, qualifiziere ihn, mit den ungeheuren Intrigen der Oligachen und anderer Gegner in seinem Land fertig zu werden. Russland sei nach wie vor eine Großmacht, wenn auch keine Weltmacht mehr. Und die Ukraine? ‘Dort gibt es überhaupt keine Kontrolle über die Oligarchen. Einer davon ist jetzt Präsident, und niemand kann mir erzählen, dass er seine Milliarden mit minderwertiger Schokolade gemacht hat.’ ”
    Quelle: SZ vom 18.8.2014, Rudolph Chimelli, Mahner von Welt

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