Der Sieg der Ökonomie und Kapitalismus-Kritik

Auf den NachDenkSeiten erschien am 18.07.2014 ein Beitrag von Götz Eisenberg anlässlich des zweiten Todestages des radikalen Kapitalismuskritikers Robert Kurz. Hier als Auszug das Resumee:

Robert Kurz wurde nicht müde, uns an die Möglichkeit zu erinnern, die wild gewordene Ökonomie zurückzupfeifen und an eine gesellschaftliche Leine zu legen. Wir benötigen eine Ökonomie, die nicht länger nach Geldkategorien und den Äquivalenzkriterien des Warentauschs verfährt, sondern ihre Praxis an naturalen Größen und sinnlichen Bedürfnis- und ökologischen Verträglichkeitskriterien ausrichtet. Es wird immer dringlicher, den intellektuellen Mut aufzubringen, uns eine Welt jenseits von Ware und Geld vorstellen zu können und uns praktisch für ihre Verwirklichung einzusetzen.
Alles andere schien Robert Kurz utopisch.

Zeitgleich erschien eine Replik von Jens Berger (“Wenn Kapitalismuskritik zu kurz greift”), die mich ein wenig enttäuscht, scheint er doch zu glauben, der Kapitalismus sei nach wie vor durch die Politik zu bändigen, und diese sei – zumindest theoretisch – in der Lage, Wege zu finden, dass die inneren Widersprüche sich befrieden lassen, Zitat:

Es ist nicht das Wirtschaftssystem, sondern die Politik, die die Leitplanken wirtschaftlichen Handelns bestimmt. Ein echter Schutz der Umwelt, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und ein Leben im Einklang mit dem „inneren Ich“ sind in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem möglich, wenn die Gemeinschaft es denn will und die Politik die dafür nötigen Leitplanken setzt.

Erfreulich war für mich dann ein Leserbrief von Joke Frerichs, der drei Tage später erschien und der mir in die richtige Richtung geht:

Auch hinsichtlich der Gestaltungsmacht des Politischen bin ich skeptisch; die Politik ist längst ein Getriebener und Verbündeter der Entwicklung und mitnichten willens oder in der Lage, dieser Einhalt zu gebieten. Der Hinweis auf die Soziale Marktwirtschaft hilft da nicht weiter; sie war m.E. Ausdruck eines historischen Kompromisses der Nachkriegszeit, als die Kumpanei der großen Unternehmen mit dem Faschismus noch stark im allgemeinen Bewusstsein vorhanden war und sogar die CDU in ihrem Ahlener Programm die Überwindung des Kapitalismus forderte.

Natürlich ist es ebenso wenig hilfreich, die vorkapitalistische Produktionsweise in irgendeiner Weise zu idealisieren; dazu hat Jens Berger viel Richtiges gesagt. Allerdings bleibt er m.E. zu sehr einem gewissem Wachstumsdenken verpflichtet, das längst kritisch zu hinterfragen wäre

Leider scheint die Debatte schon wieder abzuflachen, Albrecht Müller hat verkündet, dass er mit dem Begriff Kapitalismus wenig anfangen kann, Wolfgang Lieb ist der Begriff dagegen wichtig. Und Jens Berger hat auf seinem eigenen Blog, dem “Spiegelfechter” verkündet, dass ihn die Debatte langweilt und ihm die wirklichen Gegenentwürfe fehlen.

Langeweile ist natürlich tödlich für eine Idee einer lebenswerten Zukunft. Wenn wir das Gefühl haben, jetzt noch in der besten aller Welten zu leben – mit Ausnahme der eigenen vor zehn Jahren – verharren wir in der zunehmend mühsameren Aufrechterhaltung des Status Quo, wissend, dass uns dies letztlich auf Dauer nicht gelingen kann.

Vielleicht liegt die Utopie gar nicht so fern. Wenn man Harald Welzer bei seinem Aufruf zum Selbst Denken folgt, müssen wir uns ernst nehmen und Verantwortung für unser eigenes Handeln übernehmen, dann beginnt die Utopie im Kleinen zu leben und zu wirken. Bleibt allerdings noch das Problem des weltweit vernetzten globalisierten Kapitalismus, der sich vor der jetzigen Politik viel weniger fürchten muss als vor den Brüchen und Krisen, die er selbst tagtäglich produziert, weil er Wachstum braucht und dies bisher immer mit zusätzlicher Ressourcennutzung und -verschwendung einher ging. Und – mit Ausnahme der Nachkriegszeit, wie Joke Frerichs richtig schreibt – scheint der Kapitalismus auch sozial nicht einhegbar zu sein, die Umverteilung zu Gunsten der Vermögensbesitzer und zu Lasten der Arbeitnehmer und ökonomisch Schwachen in der Gesellschaft bestimmt das Bild der letzten 35 Jahre.

Also zurück zur Utopie: Was können und was wollen wir innergesellschaftlich durchsetzen (Stichworte: UmFAIRteilen, Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Entlastung kleiner und Belastung großer Einkommen) und wo braucht es neue Verabredungen und Regularien, die Wohlstand ohne Wachstum möglich machen?

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4 Gedanken zu „Der Sieg der Ökonomie und Kapitalismus-Kritik

  1. Ludger Elmer

    Also ich stehe da näher bei Jens Berger, der sagt:
    „ … Die meisten seiner (Robert Kurz) Kritikpunkte haben erstaunlicherweise gar nichts mit dem Kapitalismus als solchem, sondern mit den Auswüchsen des Kapitalismus zu tun. …“
    Aber sollten wir denn zunächst nicht mal‘ fragen, was ist denn Kapitalismus? Diese Frage zu beantworten, trau ich mir gar nicht zu.
    Also frage ich den deutschen Sozialhistoriker Jürgen Kocka, der in seinem Beitrag „Die Kraft, die gierig ist und Gutes schafft“ in der SZ vom 29.7.14 eine Umschreibung des Begriffes vornimmt und sagt, der Kapitalismus beruhe auf drei Annahmen:
    „ … Es gehören erstens wesentlich individuelle Eigentumsrechte und dezentrale Entscheidungen dazu … zweitens finde im Kapitalismus die Koordinierung der wirtschaftlichen Akteure vor allem über Märkte und Preise, durch Wettbewerb und Zusammenarbeit, über Nachfrage und Angebot, durch Verkauf von Waren statt … und drittens braucht der Kapitalismus Kapital, das er investieren kann und aus dem sich heraus ein Profitstreben ergibt …“
    Eine ähnliche Definition finde ich auch bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kapitalismus
    Das bedeutet für mich, der Begriff Kapitalismus ist zunächst mal‘ wertneutral. Er beschreibt, wie Wirtschaft in diesem System funktioniert. Er ist ausgehend von der Definition weder gut noch schlecht.
    Mit dem Begriff Kapitalist ist es dann nicht mehr so einfach. Es gibt „böse“ Kapitalisten, zweifellos, und „gute“ Kapitalisten: Ein Unternehmer, der Arbeitsplätze schafft, sich an die sozialen und ökologischen Standards, z.B. Gesetze hält, seine Steuern ordentlich im Land der Wertschöpfung bezahlt, ist für mich ein guter Kapitalist. Wer die Natur und die Menschen ausbeutet, ist es nicht.
    Ich begreife also, daß die obige Definition nicht ausreicht, um „guten“ Kapitalismus zu gewährleisten. Es müsse eine Reihe von Regelungen, Standards, Gesetze hinzukommen. Darüber, wie diese zu gestalten sind, denken, reden und streiten wir alltäglich: Mindestlohn, Frackingverbot, Vermögenssteuer, …
    Womit wir wieder bei Jens Berger und seinen „Leitplanken wirtschaftlichen Handelns“ sind.
    Aber eine Frage ist noch nicht gestellt: Gibt es Alternativen zum System Kapitalismus? Ich pflichte Kocka bei, der sagt:
    „Bisher haben sich Alternativen zum Kapitalismus als unterlegen erwiesen, sowohl was die Erzeugung von Wohlstand als auch die Ermöglichung von Freiheit betrifft. …“
    Ulrike Herrmann sagt in der Einleitung ihres Buches „Der Sieg des Kapitals“:
    „ … Die Irrtümer der Neoliberalen und ihrer linken Kritiker sind nicht harmlos, weil der Kapitalismus ein sehr volatiles System ist, das zu Krisen neigt und daher politisch gesteuert werden muss. …“
    Und die SZ bringt als Untertitel zu Kocka’s Artikel:
    „Diese Form des Wirtschaftens – der Kapitalismus – braucht politischen Druck, dann wird sie besser.“

    1. Ludger Elmer

      Klare Worte von Franziskus:
      “Der Kapitalismus braucht den Krieg!”
      Franziskus spricht von Barbarei

      Quelle: Tagesspiegel

      “Das globale Wirtschaftssystem führt zur “Barbarei”, es braucht den Krieg, und es stellt das Geld und nicht den Menschen in den Mittelpunkt. Papst Franziskus findet klare Worte – wieder einmal.

      Papst Franziskus hat – nicht zum ersten Mal – das globale Wirtschaftssystem scharf kritisiert. Im November 2013 hatte er in einem Apostolischen Schreiben festgestellt: Diese Wirtschaft tötet, das Geld muss dienen und nicht regieren. Es war eine flammende Programmschrift, die sich nicht nur an und gegen die Kirche, sondern auch gegen die Entwicklungen in Politik und Wirtschaft richtete. Jetzt legt er nach. In einem Interview mit der spanischen Tageszeitung „La Vanguardia“ sagt er, “ich glaube, wir leben in einem ökonomischen System, das nicht gut ist”.

      Wenn man Fotos von unterernährten Kindern aus verschiedenen Teilen der Welt sehe, kratze man sich am Kopf: “Das versteht man nicht”, sagte der Papst. Eigentlich sollte der Mensch im Mittelpunkt stehen, derzeit aber stehe das Geld im Mittelpunkt. „Wir sind der Sünde der Götzendienerei am Götzen Geld verfallen“, erklärte der Papst. Die Wirtschaft sei von der Gier nach Mehr getrieben und führe zu einer Wegwerfkultur.

      Ausgeschlossen werde die kommende Generation, ausgeschlossen würden aber auch die Alten, beklagte der Papst. Ein Volk, das so handle, schließe seine eigene Zukunft aus. Mit scharfen Worten kritisierte Franziskus die hohe Jugendarbeitslosigkeit in einigen europäischen Ländern. „Das ist eine Barbarei“, erklärte er.

      Weiter führte der Papst aus, das derzeitige Wirtschaftssystem brauche ähnlich wie alle großen Reiche der Geschichte zum Überleben die Kriege. Da ein Weltkrieg unmöglich sei, führe man regionale Kriege. Durch die Produktion und die Herstellung von Waffen sanierten sich die großen Volkswirtschaften und opferten so Menschenleben zu Füßen des Götzen Geld.
      “Das System braucht den Krieg, um zu überleben”

      Zum Phänomen der Globalisierung äußerte sich der Papst differenziert. Eine richtig verstandene Globalisierung sei ein Reichtum. Eine falsch verstandene Globalisierung hingegen führe zu Gleichmacherei. ”

      Quelle: http://m.tagesspiegel.de/politik/franziskus-spricht-von-barbarei-papst-der-kapitalismus-braucht-den-krieg/10040764.html

  2. Andreas Schlutter Beitragsautor

    „Diese Form des Wirtschaftens – der Kapitalismus – braucht politischen Druck, dann wird sie besser.“

    Tja, warum habe ich da nur Zweifel? Erschreckende Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie in Südostasien, exorbitante Summen von Kapital, das an den Finanzmärkten Unheil anrichtet, eine seit gut 30 Jahren anhaltende Umverteilung von unten nach oben in den meisten westlichen Industriestaaten, die zunehmend mehr die Demokratien gefährdet und/oder aushöhlt, eine Ressourcenverschwendung ohne gleichen… Nichts deutet darauf hin, dass die Hauptländer unserer Wirtschaftsverfassung tatsächlich zum Umsteuern in der Lage sind. Die Eskalation des Konfliktes, der sich um die kriegerische Auseinandersetzung in der Ostukraine abspielt, drängt völlig aus dem Bewusstsein, dass wir überhaupt nicht in der Lage sind, die Zukunft zu gestalten.
    Ich denke, es macht auch weniger Sinn, den Kapitalismus als solches zu definieren, da werden wir gesellschaftlich auf keinen gemeinsamen Nenner kommen. Ich erinnere mich z.B. an eine Diskussion bei Scobel auf 3sat, wo ein Teilnehmer den Begriff durch “soziale Marktwirtschaft” ersetzt hat. Gerade diese Einhegung ist ja gescheitert, ausgehebelt worden. Vielleicht war sie auch nur in der Nachkriegszeit durchsetzbar.

    Es gibt „Kapitalismus“ und dann gibt es den „real existierenden Kapitalismus“.
    Noam Chomski

    Und ich glaube, wir müssen uns mit dem real existierenden Kapitalismus beschäftigen. TTIP, CETA und TISA sind ja nicht die ersten Versuche, weitere Leitplanken einzureißen, die noch existieren, aber aktuell die aggressivsten – und sie werden auch von einem Teil der europäischen Politiker forciert, der noch amtierende Handelskommissar Karel De Gucht ist sicher einer der entschiedensten unter ihnen.
    Insofern ist es zwar schön, dass es “gute” Unternehmer gibt – aber sie sind solange gut und erfolgreich, wie sie einen Markt finden. Und viele davon finden sich in Nischen wieder, nämlich dort, wo Kaufkraft und Bewusstsein zusammenkommen.
    Die entscheidende Frage für mich ist die nach unseren Handlungsmöglichkeiten. Wie können wir uns Gestaltungsräume zurückerobern und die Macht der großen Finanzkonzerne zurückdrängen?

  3. Andreas Schlutter Beitragsautor

    mir ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Ingo Schulze im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung vom Januar 2012 wieder eingefallen: “Kapitalismus braucht keine Demokratie” – Thesen gegen die Ausplünderung der Gesellschaft, Zitat:

    3. Wir empören uns zu recht über Wladimir Putins Begriff der „gelenkten Demokratie“. Warum musste Angela Merkel nicht zurücktreten, als sie von „marktkonformer Demokratie“ sprach?

    4. Der Kapitalismus braucht keine Demokratie, sondern stabile Verhältnisse. Dass funktionierende demokratische Strukturen eher als Gegenkraft und Bremse des Kapitalismus wirken können und so auch wahrgenommen werden, machten die Reaktionen auf die angekündigte Volksabstimmung in Griechenland und deren baldige Rücknahme deutlich.

    Quelle: Süddeutsche.de

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