Warum eigentlich nicht?

Quelle: Rosa Luxemburg Stiftung

Im heutigen Bundestag haben Sozialdemokraten, Grüne und die Abgeordneten der Linken eine Mehrheit. Sie nutzen sie aber nicht. Der großen Koalition von CDU/CSU und SPD stehen die Oppositionsparteien Linke und Grüne gegenüber. Ob es zu einer Mehrheit für SPD, Grüne und Linke bei der Wahl im nächsten Jahr kommt, ist ungewiss. Und selbst wenn es sie gibt, scheint ein R2G-Bündnis unwahrscheinlich, weil einige Positionen (Außenpolitik, Sozialpolitik, Friedenspolitik) sehr weit auseinander liegen. Und jedes solche Bündnis ist eben auch machtpolitischen und persönlichen Einflüssen unterworfen. Kann man sich Sahra Wagenknecht als Ministerin in einem Kabinett Gabriel vorstellen?

Umso wichtiger ist es, sich heute Klarheit zu verschaffen über mögliche Positionen und Politikfelder, wo ein Konsens möglich erscheint, ja gesellschaftlich dringend erforderlich ist. Dazu drei Themen:

1 Steuergerechtigkeit

In der SZ vom 19.11.16 berichtet Frederik Obermaier über den US-Ökonom Joseph Stiglitz, der Europa attackiert und zum weltweiten Kampf gegen Steueroasen aufruft. Gemeinsam mit dem Schweizer Korruptionsexperten Mark Pieth hat Stiglitz einen Bericht verfasst und Empfehlungen ausgesprochen, die bei entsprechender Umsetzung

die internationale Finanzindustrie von einem Tag auf den anderen [umkrempeln würde]. Es wäre das Ende sämtlicher Steueroasen.

Stiglitz und Pieth wollen Datenbanken schaffen, die es niemandem mehr gestatten, seine Bankkonten, seine Villen, seine Yachten und seine Beteiligungen hinter anonymen Firmen zu verstecken. Damit wäre das Ende der Briefkastenfirmen besiegelt, denn ihre Existenz verdanken sie nur der Geheimhaltung. Konzerne wie Apple zahlen einen effektiven Steuersatz von 0,005 %. Irland spielt dabei mit und der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat derartige Steuersparmodelle in Luxemburg eingeführt. Den Staaten der OECD entgehen so jährlich Steuereinnahmen in Höhe von geschätzt 100 bis 240 Milliarden Dollar.

Es muss also ein multilateraler Informationsaustausch stattfinden und es müssen alle mitmachen. Probleme bereiten allerdings die USA und Großbritannien, die zwar Steueroasen heftig kritisieren, aber innerhalb ihrer Landesgrenzen derartige Aktivitäten wohlwollend dulden.

Wenn es in einer globalisierten Welt eine letzte Insel der Geheimhaltung gibt, werden die Gelder genau dorthin fließen.

Werden Sozialdemokraten, Grüne und Linke sich einigen können? In diesem Punkt sollte es nicht so schwer sein, aus deutscher Sicht den Druck auf andere Staaten zu erhöhen. Immerhin winken enorme Zuwächse an Steuereinnahmen, damit ein Mehr an Steuergerechtigkeit und das sollte die Wähler überzeugen.

2 Industrielle Landwirtschaft

Auf der gleichen Seite am gleichen Tag erscheint ein Interview mit Anton Hofreiter, einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Deutschen Bundestag. Die Überschrift in der Internet-Ausgabe formuliert sehr deutlich:

Deutsche Agrarpolitik für Flüchtlingskrise mitverantwortlich

Hofreiter nennt all die bekannten Argumente zur europäischen Agrarpolitik:

  • Unsere Exporte zu Dumpingpreisen, gefördert durch EU-Subventionen
  • Dadurch hervorgerufene gewaltige Probleme bei afrikanischen Bäuerinnen und Bauern, die in die Perspektivlosigkeit und in die Flucht getrieben werden
  • Unerträgliche Tierquälerei und massive Umweltprobleme, verursacht durch die industrielle Agrarpolitik
  • Massenhaftes Höfesterben auch in Deutschland
  • Große Mastfabriken produzieren so viel Dünger, dass Boden und Gewässer überlastet sind
  • Zigtausende von Tieren sind zusammengepfercht, werden vollgepumpt mit Antibiotika
  • Produkte in Supermärkten, die nachweislich mit Menschenrechtsverletzungen verbunden sind
  • Für Futtermittel werden riesige Anbauflächen benötigt, Kleinbauern  in Südamerika werden wiederum mit Gewalt von ihren Ländern vertrieben.

Hofreiter fordert Förderinstrumente, die an tierfreundliche Ställe gekoppelt sind und Transparenz für Kunden, die nicht wissen (wollen), was sie kaufen.

Kritische Lebensmittel sollen künftig im internationalen Handel nach fairen Produktionsbedingungen zertifiziert werden wie Holz. Die Welthandelsregeln würden das zulassen.

Hofreiter kündigt zudem an, dass die Grünen die Ernährung zum Wahlkampfthema machen. “Im Bundestagswahlkampf sollte es um die Themen gehen, die die Menschen beschäftigen. Gesunde Lebensmittel und eine andere Landwirtschaft gehören sicher dazu.”

Wollen wir zusehen, dass die Grünen ihre agrarpolitischen Forderungen in einer schwarz-grünen Koalition allzu kompromissbereit reduzieren? Müssen Linke und Sozialdemokraten sie nicht massiv unterstützen? Nur ein starkes Bündnis kann uns die Perspektive auf einen höheren Anteil an lokaler und umweltfreundlicher Agrarwirtschaft eröffnen.

Angefügt ist die jüngste Rede von Anton Hofreiter im Bundestag zu den Fragen des Populismus, der erneuten Kandidatur von Angela Merkel und den ungelösten Themen dieser Republik. Hätte Sahra Wagenknecht das anders sagen können?

3 Grundeinkommen

Nun ist das Thema endlich in der gesellschaftlichen Diskussion angelangt. Der Vorstandsvorsitzende von Siemens Joe Käser fordert das bedingungslose Grundeinkommen, um die sozialen Verwerfungen, die der technologische Wandel mit sich bringen wird, abzufedern.

Die Idee des Grundeinkommens ist nicht neu. Sogar Milton Friedman und auch Martin Luther King hatten es gefordert, der dm-Gründer Götz Werner hat ein Buch darüber geschrieben, die Schweiz hat kürzlich darüber eine Volksabstimmung durchgeführt und es mehrheitlich abgelehnt. Es gibt einige Modellversuche, in Finnland und in den Niederlanden und vermehrt mischen sich die Stimmen der Wirtschaft in die Debatte ein. Und alle Diskussionen würden verstummen, wenn nur die Bedürftigkeit festgestellt wird. Das wäre dann endlich das Ende aller Sanktionen gegen die Hart-IV-Bezieher.

Michael Bohmeyer, politischer Aktivist, will ein bedingungsloses Grundeinkommen per Crowd-funding finanzieren, hat eine Ein-Themen-Partei gegründet und wird bei der Bundestagswahl 2017 antreten. Er sagt

Die Tatsache, dass die Linkspartei, die Grünen, der Siemens-Chef, die Querfrontnazis und die Anthroposophen sich damit befassen, zeigt, dass es eine postideologische, anschlussfähige Idee ist.

Hier sind nur drei Beispiele einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit aufgeführt. Weitere Themen liegen auf der Hand,

  • wie die Bürgerversicherung (Alle Bürger unter Einbeziehung aller Einkunftsarten leisten Beiträge und sind versichert, das duale System von privater und gesetzlicher Krankenversicherung wird aufgehoben),
  • wie ein Rentenmodell nach dem österreichischen Vorbild (Alle Berufsgruppen und Einkunftsarten zahlen ohne Beitragsbemessungsgrenze ein, die Mindestrente liegt bei gut 1.000 €, die Höchstrente bei knapp unter 2.000 €, das System basiert vollständig auf dem Umlageverfahren),
  • wie eine gemeinsame Klima- und Energiepolitik, die das Moratorium für fossile Kraftwerk beinhaltet,
  • wie die Abkehr von einer Politik der Schwarzen Null, die anstelle dessen den Ausbau der maroden Infrastruktur (Autobahnen, Brücken, Schienen, Schulen, kommunale Einrichtungen) in den Mittelpunkt stellt,
  • wie die teilweise schon durchgeführte Rekommunalisierung der Energieversorgung (über die Stadtwerke) und den Stopp aller Privatisierungen der Bereitstellung und Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die der Daseinsvorsorge der Bürger dienen,
  • wie steuerpolitisch die – von den Grünen schon beschlossene – Aufhebung des Ehegattensplittings zugunsten eines Familiensplittings.

Für die heutige SPD mag es schwer genug sein, gerade in der Sozialpolitik Fehler einzugestehen und politischen Schritten zuzustimmen, den Niedriglohnsektor wieder zu verringern.

Aber was haben wir gelernt aus der Analyse von Didier Eribon, der den Linken (und dazu gehören nicht nur die Sozialdemokraten) ein Versagen vorwirft, das den Rechten erst den Zugang zu den sozial abgehängten ermöglicht hat? Auch bei uns hat die AfD der Linken Stimmen abgenommen.

Können wir etwas lernen aus dem Rücktritt  von Oskar Lafontaine aus dem Kabinett Schröder 1999? Schließlich war Lafontaine damals auch Vorsitzender der SPD, hatte er keine Mitstreiter im Parteipräsidium, war er nicht mehr kompromissfähig? Solange die Linke sich weigert, politische Lösungen mit offenem Ergebnis zu verhandeln, kommt es mir so vor, als würden sie Angst haben vor der eigenen Courage, also nur wenig gewinnen, aber viel verlieren zu können. Wenn sie es nicht ernsthaft angehen, die Grundpfeiler eines R2G-Bündnisses zu definieren, wenn sie jetzt schon Bedenken haben, in einer R2G-Koalition unterzugehen, dass man sie nicht mehr wiedererkennt, dann haben sie jetzt schon ihre Chance und ihren Auftrag, mitzugestalten, verspielt.

 

 

 

 

 

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3 Gedanken zu „Warum eigentlich nicht?

  1. Andreas Schlutter

    In den Blättern 12/2016 spricht sich auch Oskar Negt dafür aus, linke Mehrheiten zu schaffen. Er skizziert die gewaltigen Umbrüche, die wir gerade durchleben, arbeitet heraus, dass die Menschen Bindungen brauchen, die die neoliberale Geellschaften nicht mehr bieten, womit das Nationale – in Abgrenzung des Fremden – identitätsstiftend wird.

    “Das Fatale ist, dass das kapitalistische Wirtschaften auf Bindungslosigkeiten setzt. Die großen Entwertungen von Erfahrung, Erinnerung und Bindung widersprechen jedoch den urmenschlichen Bedürfnissen, die doch eher auf Haltbarkeit und Dauer gehen.”

    Und weiter:

    “Es ist schlimm, mit ansehen zu müssen, wie die einst linken Themen wie Verteilungsgerechtigkeit und die Not der kleinen Leute nach rechts abwandern, und mit dem angereicherten Angstrohstoff, der sich aus einem Gebräu aus Abstiegsängsten, Wut und Alltagsfrustration zusammensetzt, zur Bearbeitung in die Hände von politischen Hasardeuren gelangen, die nichts anderes im Sinn haben, als die Geschichte des Humanismus und der Aufklärung zurückzudrehen.”

    Negt setzt sich mit dem Fehlen von Utopien auseinander und sieht gerade hierin einen großen Mangel. Zu R2G sagt er:

    “Gewiss, eine rot-rot-grüne Koalition wird nicht alle Arbeitsfelder, in denen sich weitgehender Reformbedarf angesammelt hat, beackern können; die neoliberalen Irrwege mit ihrer Aufteilung der Menschen nach Gewinnern und Verlierern haben eine fatale Hinterlassenschaft erzeugt. Sie haben das Wohl und Wehe des Gemeinwesens den Maßstäben einer betriebswirtschaftlich beschädigten Vernunft untergeordnet.”

    Und er ergänzt:

    “Was ist von einem rot-rot-grünen Machtwechsel zu erwarten? Zunächst nichts anderes als eine Veränderung des politisch-kulturellen Klimas und damit Anstöße für eine Realisierung überfälliger Gesellschaftsreformen; Leitlinie wäre die Aufhebung des Gerechtigkeitsdefizits, das die Gesellschaft auseinanderzutreiben droht.”

    So weit kann ich dem gerne folgen, und auch deinem Grundansatz, Ludger. Nur wird an den von dir genannten Schwerpunkten schon deutlich, wie schwierig es werden wird. Denn meines Erachtens wesentlich für das Zustandekommen einer Koalition wird die Frage sein, ob man sich auf einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und der Türkei (Incirlik) wird einigen können. Meines Erachtens eine Sollbruchstelle für Verhandlungen, denn ein Verbleib der Soldaten in den Ländern ist für DIE LINKE nicht hinnehmbar. Genauso wird eine drastische Einschränkung der Waffenexporte unabdingbar sein. Weder die Ukraine noch der Nahe Osten werden weiterhin deutsche Waffen kaufen dürfen. Und wenn eine rot-rot-gründe Bundesregierung an den Fluchtursachen etwas ändern wil, muss hier ein klarer Politikwechsel erkennbar sein und überzeugend vorgetragen werden. Andernfalls würde DIE LINKE nicht ohne massive Beschädigungen aus der Koalition hervorgehen. Kannst du dir in diesen beiden friedenspolitischen Fragen eine Abkehr der SPD von ihrer bisherigen Position vorstellen?
    Einem der drei zentralen Punkte, die du nennst, muss ich übrigens klar widersprechen. Das Bedingungslose Grundeinkommen gehört nicht auf die Agenda. Es wird von unterschiedlichen Protagonisten sehr widersprüchlich diskutiert, aber im Detail geht es um sehr unterschiedliche Vorstellungen. Notwendig wäre es dagegen, über Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich zu reden, auch als Antwort auf “Industrie 4.0” und die Flexibilisierungswünsche der Arbeitgeber beim Arbeitszetgesetz. Sigmar Gabriel hat dies übrigens gestern bei Maybritt Illner (ca. Minuten 52:30-55:20) im direkten Gespräch mit Katja Kipping korrekterweise erwähnt. “Zeitwohlstand” oder “Zeitautonomie” für Beschäftigte wären hier wichtige Stichworte. Damit zusammenhängend bräuchten wir eine deutliche Anhebung des Mindestlohns, der aktuell näher bei elf statt zehn Euro liegen müsste. Gleich miterledigen könnte eine rot-rot-grüne Koalition die sachgrundlose Befristung auf zwei Jahre nach § 14 (2) des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, da gab es schon in den Wahlprogrammen 2013 bei allen drei Parteien Übereinstimmung. Also zusammenfassend wäre dies das Thema “Gute Arbeit statt prekärer Beschäftigung”, wo sicher viel Übereinstimmung zu erzielen wäre.
    Aber wie schon oben gesagt, ich bin sehr skeptisch, dass wir so schnell den gesellschaftlichen Wandel anschieben und die Stimmung im Land drehen können.

  2. gerhard dengler

    Ich gebe Dir bis auf zwei Punkte (die ich am Schluß erwähne) völlig Recht:
    Was für mich wirklich deprimierend ist, daß bei vielen Handlungsfeldern (wie z. B. bei der gesetzlichen Rente) die Probleme für (fast) jeden erkennbar auf dem Tisch liegen. Auch die (richtigen) Handlungsoptionen (wie Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die GRV, Abschaffung Riester-Rente, eine wirkliche betriebliche Altersversorgung) sind so schwer jetzt auch nicht zu finden.
    Aber es passiert nichts und es wird nur an den Problemen ein bißchen Schönheitskosmetik betrieben wenn ein Thema wie jetzt Altersarmut aufkocht.
    Es fehlt einfach der Wille, daß man zugibt, mit den ganzen neoliberalen Reformen massive Fehler gemacht zu haben.
    Und der Großteil der sog. Qualitätsmedien zeigt auch nicht die wahren Hintergründe und Lösungen auf
    (Originalton BR zur Altersarmut “Gerade Geringverdiener bräuchten eine zusätzliche private Absicherung, aber Vielen fehlt das Geld dazu” – Ohne Worte)
    Die Wenigen die in der Öffentlichkeit sich gegen diese Entwicklung stellen, wie z. B. die Linken werden mit den Methoden der Meinungsmanipulation (siehe NDS-Artikel) in die ebensolche Ecke gestellt oder wie z. B. der Rentenexperte Holger Balodis kaum in den Medien erwähnt.
    Und dann wählen auch noch 90 % der Wähler die Parteien, die eine Politik gegen sie machen.
    Ich halte eine R2G Koalition zwar auch für eine schwierige Konstellation aber nicht unmöglich: m. E. müßte sich da aber die SPD zuerst von ihrer Agenda-Politik verabschieden und eine Kehrtwendung einleiten; die schwierigen außen- und sicherheitspolitischen Themen wo die Linkspartei gänzlich andere Positionen vertritt; könnte man im Einzelfall ggf. auch mit anderen Mehrheiten lösen.
    Bei dem Thema bedingungsloses Grundeinkommen bin ich etwas skeptisch, weil es m. W. damit verbunden ist daß alle anderen Zuschüsse, Steuervorteile etc. für Bedürftige entfallen; außerdem hat noch keiner die Finanzierung durchgerechnet.

    Gerhard Dengler

  3. Andreas Schlutter

    konsequente Argumentation von Florian Sander gegen das BGE – aufbauend auf Pierre Bourdieus Überlegungen zu sozialem, kulturellem und symbolischem Kapital

    “Wer visionäre Politik betreiben will – was ja an sich nicht falsch ist – der kann und darf nicht darauf verzichten, seine Positionen möglichst soziologisch informiert weiterzudenken und aus ihnen Konsequenzen abzuleiten. Anders kann und darf man Utopien nicht verfolgen, wenn sie nicht zu Dystopien werden sollen. Die Befürworter des BGE lassen es an diesem Grundsatz fehlen, was es umso erstaunlicher macht, dass ihr Konzept mit einer solchen Beharrlichkeit weiter durch die sozialpolitischen Debatten geistert.”

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