Das Ende des Kapitalismus

Foto: Tim Reckmann (FotoDB.de)

Der Kapitalismus werde von sich aus, also von innen kollabieren, so sagt es Wolfgang Streeck voraus, auch wenn wir nicht wissen, was danach kommt.

Es bedarf weder der utopischen Vision einer alternativen Zukunft noch übermenschlicher Voraussicht, um auf den Gedanken zu kommen, dass der Kapitalismus seiner ‚Götterdämmerung‘ entgegensieht.

Wolfgang Streeck, deutscher Soziologe und emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, schildert in einem zweiteiligen Artikel in der Monatszeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“, wie er sich „Das Ende des Kapitalismus“ vorstellt.
Das Ende des Kapitalismus ist deswegen angezeigt, weil es eindeutige Krisensymptome gibt:

  • der starke Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums
  • der lang anhaltende Anstieg der Verschuldung auf allen Ebenen der Volkswirtschaften, also der Staaten, der privaten Haushalte und der Unternehmen
  • jahrzehntelang steigende und ungebremste Zunahme der Ungleichheit von Einkommen und Vermögen

Diese Krisen beschreiben einen Langzeittrend und es deutet viel darauf hin, so Streeck, dass sie sich gegenseitig verstärken.

Ungleichheit behindert mögliche Produktivitätsfortschritte, während sie zugleich die Nachfrage schwächt. Schwaches Wachstum wiederum verstärkt die Ungleichheit, indem es die Verteilungskonflikte verschärft und Zugeständnisse an die Armen in den Augen der Reichen verteuert.

Die derzeitigen Maßnahmen, nämlich Geld ohne Grenzen in den wirtschaftlichen Kreislauf zu pumpen, ermöglichen es den Regierungen, Defizite zu finanzieren. Sie geben lieber Geld aus anstatt entsprechende Steuern zu erheben. Da eine wirkliche wirtschaftliche Belebung aber dadurch nicht erreicht wird, erhöht die Politik die Dosis der „neoliberalen Reformen“ – also Sozialabbau und Privatisierungen – mit der Behauptung, die gesteigerte Flexibilität sei der „Schlüssel zum Erfolg“.
Dass der Kapitalismus und die Demokratie sich nicht mehr vertragen, spiegelt sich wider in der schwachen Wahlbeteiligung, in der „Volatilität des Abstimmungsverhaltens“ und in den erstarkten rechtspopulistischen Bewegungen. Den Staaten wird die Fähigkeit abgesprochen, ins Marktgeschehen einzugreifen und die Ergebnisse des Marktes im Sinne der Bürger zu korrigieren. Bezeichnend war hier sicherlich das Wort der Bundeskanzlerin von der „marktkonformen Demokratie“.
Die Krise der Staatsfinanzen, führt Streeck aus, ist eben nicht auf den Anteil der Sozialausgaben am Haushalt zurückzuführen, denn zeitgleich haben sich die Ungleichheiten verstärkt, Kürzungen der Sozialleistungen sind erfolgt und Steuererleichterungen für große Vermögen und Einkommen sind gewährt worden.
Staatsschulden werden bedient aus Steuereinnahmen, die zum großen Teil aus Einkommen und Konsum generiert werden, während der Besitz der Schuldtitel Einkommen sichert, vererbt wird und die Ungleichheit erhöht.

In Wirklichkeit hing die Verschlechterung der öffentlichen Finanzen mit dem Niedergang des Steueraufkommens und dem zunehmend degressiven Charakter der Steuersysteme zusammen, beides Ergebnis von ‘Reformen’ bei der Besteuerung der Spitzeneinkommen und Unternehmen.

Zudem, die Staatsverschuldung lässt sich gut nutzen, um zu begründen, warum staatliche Ausgaben gekürzt und öffentliche Dienstleistungen privatisiert werden müssen. Sowohl Lohnfindung als auch Haushaltspolitik werden der demokratischen Willensbildung entzogen und durch übernationale Institutionen, wie Europäische Zentralbank und Europäische Kommission gesteuert. Dies bedeutet Entdemokratisierung, nicht Entpolitisierung. Die Eliten sagen wiederum, der Marktkapitalismus werde damit besser funktionieren, weil demokratische Einflussnahme zurückgedrängt worden sei.
Warum nun geht der Kapitalismus zu Ende? Streeck sagt, dass die Institutionen, die den Kapitalismus stabilisiert und ihm Grenzen gesetzt haben, von ihm mittlerweile zerstört worden sind. Die gesellschaftlichen Kontrollen, die Kapitalakkumulation zu begrenzen, funktionieren nicht mehr. Der Kapitalismus besiegt sich also selber, weil er zu erfolgreich ist.

Entscheidend ist …, dass nirgendwo eine Kraft zu sehen ist, von der eine Umkehr der drei Abwärtstrends – beim Wirtschaftswachstum, der sozialen Gleichheit und der finanziellen Stabilität – und die Beendigung ihrer wechselseitigen Verstärkung zu erwarten wäre.

Erst sehr spät, gegen Ende des ersten Teilbeitrags definiert Streeck, was er unter Kapitalismus versteht. Er ist eine moderne Gesellschaft, was immer das auch sein mag, die private Kapitalvermehrung gewährleistet und auf individueller, rationaler und kompetitiver Profitmaximierung basiert.
Was spricht andererseits gegen den baldigen Tod des Kapitalismus? An die steigende Ungleichheit könnten die Menschen sich gewöhnen, „besonders bei kombinierter Nachhilfe durch öffentliche Unterhaltung und politische Repression.“ Und auch Regierungen, die Sozialabbau zu verantworten hatten, sind wiedergewählt worden. Die Umweltzerstörung schreitet voran, aber gemessen an der Dauer eines menschlichen Lebens, doch eher langsam. Technologische Entwicklungen, Streeck bezeichnet das Fracking als solche, werden helfen, den Kollaps hinauszuschieben.
Das Resumé des ersten Beitrags lautet also: Der Kapitalismus kann nur solange überleben, wie er nicht völlig kapitalistisch ist.

So gesehen könnte der Sieg des Kapitalismus über seine Widersacher sich als Pyrrhussieg erweisen, weil er ihn von ebenjenen Gegenkräften befreite, die ihm zwar gelegentlich unbequem, tatsächlich seiner Fortexistenz stets dienlich gewesen sind.

Zu Beginn des zweiten Teils des Artikels geht Streeck nochmal ein auf die Krisenzonen des Kapitalismus.
Es war die extreme „Kommodifizierung des Geldes“, also die Kommerzialisierung des Geldes, was zur reinen Ware geworden ist, die die Weltwirtschaft 2008 in die Krise gestürzt hat. In der Immobilienkrise in den USA waren Löhne durch Schulden ersetzt worden. Es war der „Übergang vom alten Geld→Ware→Geld*-Regime zur neuen Zauberformel Geld→Geld*“, der enorme Risiken und die wachsende Ungleichheit hervorgerufen hat.
Was die Natur angeht, so gerät sie immer mehr in das Spannungsverhältnis „zwischen dem kapitalistischen Prinzip unbegrenzter Expansion und der Begrenztheit der natürlichen Ressourcen.“ Streeck vermisst die „Akteure und Institutionen, die in einer Welt kompetitiver Produktion und Konsumption das kollektive Gut einer lebensermöglichenden Umwelt sichern können.“
Eduardo Galeano, am 13.4.15 verstorbener uruguayischer Journalist und Schriftsteller (sein berühmtes Werk „Die offenen Adern Lateinamerikas“) sagte: „Wenn die Natur eine Bank wäre, dann wäre sie schon gerettet worden“. (SZ vom 15.4.15, S.14) Und übrigens, der erste Satz dieses Buches, erschienen 1970 in Montevideo, lautet: „Die internationale Arbeitsteilung besteht darin, dass einige Länder sich im Gewinnen und andere im Verlieren spezialisieren.“

Auf dem Arbeitsmarkt macht Streeck folgende Entwicklungen fest:

  • Die Arbeitszeitverkürzung, möglich aufgrund der Produktivitätssteigerungen, ist nicht gekommen. Die prekäre Beschäftigung nimmt zu.
  • Die Arbeitszeiten der Familien steigt ständig und die Arbeit dringt immer tiefer in das Familienleben ein.
  • Die Löhne sind hinter den Produktivitätssteigerungen zurückgeblieben.
  • Wo es historisch starke Arbeitsschutzregelungen gibt, nimmt die Arbeitslosigkeit zu, während die Arbeitsbedingungen an der Peripherie skandalös sind.
  • Die globale Mobilität des Faktors Arbeit ermöglicht es, „an ihren Standorten widersetzliche Beschäftigte durch zugewanderte zu ersetzen.“

Damit kommt Streeck endlich zu den Faktoren, die er identifiziert als die „fünf systematischen Störungen“, die zeigen, dass „der kapitalistische Fortschritt traditionelle, ihn einhegende institutionelle und politische Schranken weggeräumt hat.“

1. Stagnation
Selbst Lawrence Larry Summers, der das Finanzwesen unter Clinton dereguliert hatte und Obamas erste Wahl als Notenbankpräsident gewesen war, bezweifelt mittlerweile, dass die niedrigen Zinssätze wirkliches Wachstum erzeugen könnten. Als Gründe werden wiederum die Ungleichheit und die hohen Verbraucher- und Staatsschulden gesehen. Die Ungleichheit also als Ursache und Ergebnis der kapitalistischen Wirtschaftsweise.

Wie Keynes gewusst hätte, vermindert Einkommenskonzentration an der Spitze die effektive Nachfrage und veranlasst Kapitaleigner, nach spekulativen Profitchancen jenseits der ‘Realwirtschaft’ Ausschau zu halten.

2. Oligarchische Umverteilung
Die Citibank hatte in den Jahren 2005 und 2006 ihren reichsten Kunden versichert, die Entwicklung ihrer Vermögen abzukoppeln von der generellen Einkommensentwicklung. Damit ist diese Elite nicht mehr abhängig vom allgemeinen Wohlstand, sie hat sich längst abgesetzt, wie der Exodus der Superreichen aus Griechenland und aus Russland zeigt. Der globalisierte Kapitalmarkt macht es möglich.

3. Plünderung der öffentlichen Sphäre
Streeck nennt es den „Übergang vom Steuerstaat zum Schuldenstaat und dann zum Konsolidierungs- oder Austeritätsstaat“. Der öffentliche Sektor schrumpft in den entwickelten kapitalistischen Volkswirtschaften zugunsten des international mobilen Kapitals, zum Beispiel der Konzerne, die die Länder gegeneinander ausspielen und ihre Steuervermeidung maximieren. Hier übersehen die Verfechter des Kapitalismus, dass es öffentlicher Investitionen bedarf, um Produktivitätssteigerungen, also reales Wachstum zu generieren.
Wir hatten in einem eigenen Beitrag dargelegt, dass die großen Firmen alle profitieren von den Investitionen, die von den Staaten getätigt worden sind: Die IT-Firmen z.B. sind nicht in den Garagen entstanden, sondern haben aufgebaut auf der staatlichen Infrastruktur in GPS, in das Internet oder in die staatlich subventionierte Chipindustrie.
Die geplanten Vorhaben der Bundesregierung, die Finanzindustrie als Investoren in die öffentliche Infrastruktur zu gewinnen, unterstreicht, dass die Privatisierung der Güter, die der allgemeinen Daseinsvorsoge dienen, weiter voranschreitet.

4. Korruption
Ehemalige und künftige Beschäftigte von Finanzfirmen sind in der Regierung der Vereinigten Staaten tätig. Rating-Agenturen sind bezahlt worden für hohe Bewertungen von Wertpapieren und Derivaten. Offshore-Schattenbanking, Geldwäsche und Beihilfe zur Steuerflucht stützen den Kapitalismus.
Streeck erweitert das bekannte Motto „to big to fail“ zu einem „to big to jail“. Er steigert sich:

Kapitalismus ist mehr denn je gleichbedeutend mit Korruption geworden.

Das erinnert an den Spruch des französischen Philosophen Honoré de Balzac:

Hinter jedem großen Vermögen steht ein Verbrechen.

5. Globale Anarchie
Der Kapitalismus benötigt für den internationalen Handel und die globalen Kapitalströme stabile Austauschverhältnisse zwischen den Währungen. Ein Weltbankier wäre erforderlich. Regime, die ihre Rohstoffe zur Ausbeutung anbieten und ihre Regionen der kapitalistischen Landnahme zur Verfügung stellen, müssen gestützt werden. Gelingt dies nicht, dann drohen Unruhen. Aber eine übergreifende Weltordnung gibt es nicht. Der Dollar wird nicht mehr generell als Leitwährung anerkannt. Die USA wollen sich allerdings weiterhin überwiegend in ihrer eigenen Währung verschulden.
Eine globale Ordnung wird nicht dadurch hergestellt werden können, dass Drohnen weltweit Tötungen vornehmen, dass ein weltweites System geheimer Gefangenenlager existiert oder dass eine allgegenwärtige Überwachung der Kommunikation mit BigData durchgeführt wird.

Streeck zum Schluss:

An den drei Fronten der Kommodifizierung – Arbeitskraft, Natur und Geld – sind regulative Institutionen, die den Fortschritt des Kapitalismus zu seinem eigenen Besten gezügelt haben, kollabiert, und nach den Endsieg des Kapitalismus über seine Feinde ist keine politische Kraft in Sicht, die sie wiederherstellen könnte.

Die Ansatzpunkte für eine Bändigung des Kapitalismus sind also genannt. Dieses würde aber, so Streeck, den Kapitalismus retten. Wollen wir das? Wenn wir den Begriff „Kapitalismus“ ersetzen könnten, inhaltlich gesehen, durch „Soziale Marktwirtschaft“ hätten wir die Chance, eine neue Definition vorzunehmen: Wie müssen der Arbeitsmarkt gestaltet, die Natur bewahrt und der Geldkreislauf seinem eigentlichen Sinn zugeführt werden, damit soziale und ökologische Werte wiederhergestellt werden? Die politischen Akteure, die dieses Großprojekt in Angriff nehmen könnten, die suchen wir heute allerdings vergebens.

Teil 1 des Beitrags von Wolfgang Streek ist in der Märzausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ erschienen und auf der Webseite auch einzeln zu erwerben, Teil 2 ist in der aktuellen Aprilausgabe erschienen und ebenfalls käuflich zu erwerben.
Ursprünglich ist der Artikel auf Englisch veröffentlicht worden: How Will Capitalism End? In: New Left Review 87, May/June 2014, 35-64. Er steht als kostenloser Download auf der persönlichen Seite von Wolfgang Streeck beim Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung zur Verfügung.

Bildquelle: FotoDB.de / CC BY-NC-SA 2.0

Beitrag versenden

Drucken

This page as PDF

2 Gedanken zu „Das Ende des Kapitalismus

  1. Andreas Mirgel

    Ein sehr interessanter Artikel. Dazu passt der Radiobeiträge von bayern2 zum Nachhören:
    http://www.br.de/radio/bayern2/programmkalender/sendung-894620.html

    Nachtstudio Paradies oder Pleite

    Dienstag, 14.04.2015
    20:03 bis 21:00 Uhr

    Als Podcast verfügbar

    Bayern 2

    Eine Kritik des Kapitalismus
    Von Benjamin Kunkel
    Aus dem Englischen von Richard Barth

    “Warum geht es mir so schlecht?”, fragt sich der erfolgreiche Bestsellerautor und bekannte Essayist Benjamin Kunkel. Genau kann er das Unbehagen nicht erklären: “Lassen wir es damit bewenden, ich würde es vorziehen, in einer erfüllenderen Gesellschaft oder Zivilisation zu leben als im sich selbst zerstörenden Kapitalismus.” Anhand von Texten anderer Autoren – dem Geographen und Marxkenner David Harvey sowie dem Ökonom Thomas Piketty – entwickelt Kunkel seine essayistischen Überlegungen. Als Kind des entfesselten Konsums glaubt er, dem amerikanischen Kapitalismus sind die Ideen ausgegangen, wie er den Motor Wirtschaftswachstum weiter füttern kann, während doch gleichzeitig die Ressourcen schwinden. “Seit nun vier Jahrzehnten stottert der Konjunkturmotor nur noch, und nach den Explosionen der geplatzten Blasen hört man das Husten”. Benjamin Kunkel, geboren 1972, studierte in Harvard und an der Columbia University. Er schreibt für den New Yorker, die New York Times, die London Review of Books und gehört zu den Gründungsherausgebern der Zeitschrift n+1. 2006 erschien sein Roman “Unentschlossen”. Der Band “Utopie oder Untergang”, dem die Essays entnommen sind, ist bei edition Suhrkamp erschienen.

    1. Andreas Schlutter

      Leider scheint der Podcast von der Seite des BR entfernt worden zu sein, auch ein Suchergebnis, das zur ARD-Mediathek führte, läuft leider ins Leere.

Kommentare sind geschlossen.