Herrschaftszeiten: Die ideologische Mobilmachung der Republik

Herrschaft und Angst

Geherrscht wird aber auch und vor allem mittels Angst. Aktuell sind hier vor allem zwei wesentliche Aspekte zu betonen. Das ist zum einen die Angst vor sozialem Abstieg, vor Armut und Jobverlust, jene vor sozialer Ausgrenzung und kultureller Exklusion. Diese wird vor allem mittels der Etablierung eines “der besten Niedriglohnsektoren (…), den es in Europa gibt” (Gerhard Schröder) sowie der damit verbundenen Ideologie produziert. Während die Armut im Land zunimmt, wird in den Medien vor dem Hintergrund eines vermeintlichen “Jobwunders” und “Fachkräftemangels” nicht mehr die Armut, sondern werden die Armen selbst skandalisiert. Dabei ist die Zahl derjenigen, die trotz Arbeit in Armut leben, so hoch wie niemals zuvor. Faktisch können inzwischen 13 Millionen Menschen in Deutschland ihren Lebensunterhalt kaum mehr finanzieren.

Die andere Säule der praktizierten “Strategie der Angst” ist die der Produktion von Feindbildern, die mit jener der sozialen Spaltung Hand in Hand geht. Seit inzwischen mehr als einem Jahrzehnt, spätestens jedoch seit 9/11, wird uns “der Islam” als Bedrohung für “unsere Zivilisation” verkauft. Zahlreiche Titelseiten von Illustrierten titelten immer wieder mit xenophoben Aufmachern, die Männer mit Bärten und Frauen mit Kopftüchern als Bedrohung für “unsere westlichen Werte” inszenierten. Und der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin erhielt nicht nur von vornherein eine schier undenkbare Auflage für seine rassistischen und sozialeugenischen Thesen über die Unterwanderung des deutschen Sozialstaates durch lernunfähige, genetisch determiniert dumme und faule Muslime. Er erhielt auch eine durch die Leitmedien massiv befeuerte mediale Aufmerksamkeit, die man einem x-beliebigen linksgerichteten Diskurs nur wünschen kann.

Eine Art offiziellen Auftakt zur weltweiten Islamphobie waren dabei 1990 die Rede und der Aufsatz von Bernard Lewis “The Muslim Rage”, deren Thesen sein Freund und Kollege Samuel Huntington später noch in Buchform unter dem Titel „Kampf der Kulturen“ zur weltweiten Verbreitung verhalf. Dass dies kein zufälliger Zeitpunkt war, wird deutlich, sobald man realisiert, dass nach dem Wegfall des Ost-West-Konflikts in den 1990er Jahren das Feindbild Islam inzwischen das des Kommunismus fast vollständig abgelöst hat. Und zwar mit geopolitischem Impetus, wie beispielsweise Daniele Ganser dies in mehreren Arbeiten mit Blick auf Ressourcen und Ressourcenwege skizziert.

Dass auch dies nicht ohne Steuerung durch die politischen Eliten geschehen ist, machen Untersuchungen des Center for American Progress deutlich, welches die Finanzierung US-amerikanischer Think Tanks untersucht und am Beispiel des in Bezug auf die Nahostpolitik einflussreichen Middle East Forum eines Daniel Pipes nachgewiesen hat: Das Interesse am Nahen Osten ob seiner geostrategischen Bedeutung auf der einen und das Feindbild Islam auf der anderen Seite müssen als zusammengehörend gedacht und verstanden werden. Denn die rassistischen Bilder und Stereotype, die hier erzeugt und anderen als Grundlage ihrer politischen Praxis angedient werden, sind deutlich einseitig und von ganz bestimmten Kreisen finanziert weil gewollt.

Richard Pipes übrigens, der Vater von Daniel, war einst als Direktor des Zentrums für Russische Studien tätig. Das Zentrum analysierte während des Kalten Krieges die strategischen Ziele und Kapazitäten der Sowjetunion für die CIA und war hierbei für den US-amerikanischen Antikommunismus sowie das Feindbild Russland zuständig. Nun ist sein Sohn dies offenbar für das Feindbild Islam. Die Bilder also wechseln, die Strategien hingegen bleiben gleich.

Diese “gemachte” Angst vor Terror auf der einen und der Armut auf der anderen Seite, ist dabei sicher eines der aktuell wichtigsten Mittel für gesellschaftliche, wie politische Spaltung und also Herrschaftssicherung. Denn die medial produzierte Angst verhilft zur Schwächung von Widerstand gegen Armut, Unterdrückung und Ausbeutung.

Den Nachweis, dass Staat und Politik hierbei eine nicht unmaßgebliche Rolle zuteil wird, haben Wolfgang Frindte und Nicole Haußecker mit ihrer äußerst aufwändigen Untersuchung “Inszenierter Terrorismus” vorgelegt: Die beständige Veröffentlichung von Terrorwarnungen seit 9/11 hat nachweislich nicht etwa die Angst vor dem Terror, sondern jene vor Muslimen geschürt, was das offenbar beabsichtigte antimuslimische Ressentiment weiter verschärft hat. Sie hat – in Verbindung mit anderem – inzwischen aber auch zu einer Diskursverschiebung geführt, als deren Wirkung eine Neudefinition der globalen Armen als “Terroristen” zu konstatieren ist. Eine ideologische Manifestation des globalen Klassenkampfes von oben, der völkerrechtswidrige Kriege, Bombardements und Massenmorde den Bevölkerungen der kriegführenden Länder des Nordens nunmehr als “Verteidigung der eigenen Zivilisation” andient und verkauft.

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