Meine Süddeutsche

Mein medialer Einstieg in den Tag erfolgt über die SZ, genauer gesagt über deren Sportteil. Die Sport-Redakteure berichten über die Hintergründe der Ereignisse und erklären, warum die Ergebnisse, der Sieg der Bayern und die Niederlage des BVB so kommen mussten. Sie haben die sog. 1:0-Berichterstattung („Das 1:0 erzielte Robben in der 65.Minute nach einer Ecke von Rechts“) überwunden, sie fragen und bewerten, sie kommentieren und ordnen ein.
Nach einem kurzen Überfliegen des lokalen Teils (wann tagt der BUND-Natur, was kommt im Kino, was hat die Sitzung des Gemeinderats ergeben) lande ich im Feuilleton-Teil. Hier finden sich oft aktuelle politische und gesellschaftlich orientierte Themen, die sich z.B. mit den soziologischen Hintergründen von PEGIDA, mit dem Verfall der amerikanischen Mittelschicht, den Gefahren der Digitalisierung und von Big Data, der Würdelosigkeit eines Hartz IV-Lebens oder den Gründen für die vielen toten Flüchtlinge im Mittelmeer auseinandersetzen. Ja, all diese Artikel stehen im Feuilleton, das laut Wikipedia „einen publizistischen Zweig, ein Ressort in der Zeitung, eine bestimmte literarische Gattung oder eine journalistische Darstellungsform“ bezeichnet. Obwohl diese Themen also besser im politischen oder im wirtschaftlichen Teil aufgehoben wären, bin ich froh, dass es sie gibt – sie bereichern die SZ, weil sie meistens sehr kritisch die Verfassung unserer Gesellschaft beleuchten.
Wie ist es nun mit Politik und Wirtschaft in der SZ bestellt? Ich greife mal ein Beispiel heraus aus der Ausgabe vom 20.1.2015. Die Zeitung macht auf mit der Schlagzeile „Soziale Ungerechtigkeit wächst rasant“. Der Artikel beruft sich auf die Organisation Oxfam und untertitelt: „Ein Prozent der Weltbevölkerung wird 2016 die Hälfte des gesamten Wohlstands besitzen. Obama will Reiche höher besteuern.“ Der Beitrag führt aus, „die Ungleichheit sei nicht nur unmoralisch, sondern eine Gefahr für Demokratie, sozialen Frieden und Ökonomie.“

Und weiter:

„ Die Warnungen vor der Sprengkraft sozialer Ungerechtigkeit mehren sich. Nach aktuellen Berechnungen der UN-Arbeitsorganisation ILO wird die Zahl der Arbeitslosen weltweit in den nächsten fünf Jahren steigen, um 11 auf 212 Millionen. 31 Millionen haben laut ILO seit der Finanzkrise 2008 ihren Job verloren. Gerade die Arbeitslosigkeit sei es, die die soziale Ungleichheit verstärke. Vor allem in den hoch entwickelten Ländern weite sich die ungleiche Einkommensverteilung aus, in ärmeren Staaten und vielen Schwellenländern verharre sie auf hohem Niveau.“

In den USA sieht das so aus:

“Dafür ist der Anteil der Reichen am Einkommen … laut Oxfam so hoch wie vor der großen Depression von 1929 nicht mehr. Das kann als Folge der Deregulierungspolitik gelten, die in den 1980-Jahren von Präsident Ronald Reagan eingeführt wurde und die davon ausging, dass Vorteile für die Reichen zu den Armen durchsickern. Das jedoch ist nicht passiert, im Gegenteil. 2009 besaß ein Prozent der Weltbevölkerung laut Oxfam 44 Prozent des Wohlstands. Fünf Jahre später waren es 48 Prozent, bald sollen es 50 sein. 80 Prozent der Menschheit müssen sich 5,5 Prozent des Reichtums teilen.“

Da taucht also ein neoliberales Argument auf, die „Trickle-Down-Theorie“. Wikipedia schreibt darüber:

„Der Begriff Trickle-down-Theorie (englisch trickle ‚sickern‘), auch (englisch Horse and Sparrow Economics ‚Pferd und Spatz Ökonomie‘), im deutschen Sprachraum Pferdeäpfel-Theorie, bezeichnet die These, dass Wirtschaftswachstum und allgemeiner Wohlstand der Reichen nach und nach in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern würden (Trickle-down-Effekt). Sie wurde von David Stockman als synonyme Bezeichnung für angebotsorientierte Wirtschaftspolitik eingeführt.
Führende Ökonomen, unter anderem die zwei Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Paul Krugman und Joseph E. Stiglitz, bezweifeln den Wahrheitsgehalt der Theorie heute.
So sagte Paul Krugman 2008 dazu: „Wir warten auf diesen Trickle-down-Effekt nun seit 30 Jahren – vergeblich.“ Ähnlich bezweifelte Joseph E. Stiglitz 2012, dass „[…].an der sogenannten Trickle-down-Theorie […] ein Quäntchen Wahrheit wäre.“
2013 stellte Papst Franziskus in seinem apostolischen Schreiben fest, dass die nie bestätigte Trickle-down-Theorie ein undifferenziertes, naives Vertrauen auf die Güte derer aus[drücke], die die wirtschaftliche Macht in Händen halten, wie auch auf die vergötterten Mechanismen des herrschenden Wirtschaftssystems.“

Im Wirtschaftsteil der Ausgabe vom gleichen Tag finde ich von Nikolaus Piper einen Kommentar zum Thema. Überschrift „Reich und Arm – Global gerecht“.
Mein erster Gedanke, das ist eine Provokation. Dann lese ich doch und werde – zunächst – schlauer. Piper relativiert:

„Der exorbitante Vermögenszuwachs seit 2010 … ist vor allem Folge des Börsenbooms. Sinken die Aktienkurse wieder, dann sinkt auch das Vermögen der Reichsten. So war es auch nach der Internetblase im Jahr2000.“

Piper beschreibt die ungerechten Zustände in Indien („die Slums der Zurückgebliebenen“), in China („die Wanderarbeiter haben nichts vom Luxus in Shanghai oder Peking“) und in den USA („die Mittelschicht, die ihre Grundlage verliert“). Er wendet sich aber gegen höhere Steuern auf Einkommen und Vermögen. Ungleichheit könne man nicht bekämpfen, indem man die Reichen bestrafe. Er verweist auf Jobs und bessere Bildung für arme und reiche Länder. Zur Trickle-Down-Theorie bezieht er keine Stellung.
Zurück zum Feuilleton: Die vorletzte Seite enthält die Rubrik „Forum & Leserbriefe“. Ich habe diesen Teil schätzen gelernt, denn es findet sich hier meistens ein großes Meinungsspektrum zu den offiziellen Artikeln und Kommentaren der letzten Tage, am 13.2., Seite 17 zum Thema Ungleichheit.
Helmut Thome aus Halle (Saale) bemerkt, dass „der Zuwachs des Reichtums in der Spitze nicht linear, sondern oszillierend, aber seit den 1980-Jahren in vielen Ländern mit einer Entwicklungsrichtung nach oben“ verlaufe.

Und zum Thema Bildung fügt er interessante Gedanken hinzu:

„Sollte es nicht ein bisschen skeptisch stimmen, dass es in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten in Deutschland eine erhebliche Bildungsexpansion, gleichzeitig aber auch einen deutlichen Zuwachs der Einkommens- und Vermögensungleichheit gegeben hat? … Vielleicht sollte man also doch noch einmal darüber nachdenken, was “mehr Bildung” tatsächlich leistet und welche anderen Maßnahmen (auch bei der Besteuerung von Kapitalerträgen, Erbschaften und Vermögen) benötigt werden, um die Ungleichheit langfristig einzudämmen.“

Ein weiterer Leser, Bruno Heidlberger aus Berlin, äußert sich zum Einwand von Piper, man dürfe die Reichen nicht mit höheren Steuern bestrafen.

„Ich würde dies nicht “Strafe”, sondern Gerechtigkeit nennen. Man könnte es auch fair nennen. Ihr Reichtum hat auch einen Grund in der Armut der Armen, den niedrigen Löhnen, der Kinderarbeit, der Umweltverschmutzung, den Kriegen, der Staatsverschuldung.“

Zweifellos, Nikolaus Piper ist ein „neoliberaler“ Journalist. Die sozialen Argumente fallen ihm nicht so häufig ein. Aber ich will die Neoliberalen verstehen. Nur dann kann ich ihnen widersprechen.
Gibt es nur noch 1,5 nicht-neoliberale Journalisten in der SZ, wie der Münchner Philosoph Michael Hirsch unlängst bemerkte? Silvia Liebrich hat in den letzten Monaten eine Reihe von kritischen Artikeln zum geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP geschrieben. Aber es liegt mir fern, irgendetwas gegeneinander aufzurechnen.

Wenn es früher „Der Spiegel“ war, der die wirkliche vierte Gewalt mit vielen Recherchen darstellte, so ist es heute die Zusammenarbeit von NDR, WDR und SZ, die die großen Enthüllungen liefert, wie die Machenschaften der Bank HSBC, wie die Steuertricks der Großkonzerne oder die Vermögensverschiebungen in die weltweiten Steueroasen.
Viel Ermittlungsarbeit ist gefragt im Sport, wenn ich an das Thema Doping denke. Auch hier ist die SZ mit Kurt Kister und Hans Leyendecker, so mein Eindruck, führend, gemeinsam mit dem ZDF (!).

Es gibt Stimmen, die sagen, in zehn Jahren würde es von den großen Zeitungen nur noch Wochenendausgaben geben. Ich hoffe, dass es zusätzlich die SZ-Montagsausgabe geben wird – damit ich auch zum Wochenbeginn mein Frühstück genießen kann.

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13 Gedanken zu „Meine Süddeutsche

    1. Willi

      Den Link von Hr. Mirgel finde ich sehr interessant, vielen Dank dafür! Er ist jetzt besser zu finden unter:
      https://heisersstimme.wordpress.com/2015/02/16/sz-leaks-schleichwerbung-fur-steuerhinterziehung/
      Es folgen inzwischen noch diese Einträge:
      https://heisersstimme.wordpress.com/2015/02/17/110/
      und
      https://heisersstimme.wordpress.com/2015/02/18/habe-ich-uber-angebliche-verstose-nicht-informiert/

      Wenn man sich die Zeit nimmt, in diesen Einträgen zu lesen, bekommt man etwas Einblick in die Funktionsweise einer Zeitungsredaktion . Und man kann daraus erkennen, dass es schwer ist, eine neutrale und kritisch hinterfragende Zeitung zu machen, wenn man auf die Anzeigenkunden angewiesen ist. Das wiederum ist für mich ein Argument für ARD und ZDF als öffentlich finanzierte Anstalten. Leider nutzen diese ihre finanzielle Unabhängigkeit viel zu wenig und lassen sich in den üblichen Kampagnen-Journalismus einbinden.

      Als Ergänzung möchte ich noch auf einen Erlebnisbericht von Albrecht Müller hinweisen, in dem auch an zweiter Stelle die SZ angesprochen wird:
      “Unsere Kampfpresse lässt das Mausen nicht: …”
      http://www.nachdenkseiten.de/?p=25046
      In dem Fall geht es nicht um den Einfluss wirtschaftlicher Interessen, sondern um gezielte politische Meinungsmache. Die Wege der Einflussnahme bleiben dabei im Dunklen. In dem Fall von Hr. Heiser ging es um die Verlagsbeilagen, im Fall von Hr. Müller ging es um einen Leitartikel bei der “Zeit” und einen Kommentar bei der SZ.

      Weshalb schreibe ich das? Es regt mich auf, wenn ich bei sogenannten “Qualitätsmedien” auf allen Ebenen und Formaten des Journalismus mir überlegen muss, ob das Gelesene wohl sachlich korrekt bzw. die eigene Meinung des jeweiligen Lohnschreibers ist, oder welche Lobby ggf. die Feder geführt hat.

      Die SZ bringt durchaus einzelne Highlights, das will ich garnicht in Abrede stellen. Andere Medien sind durchaus schon auf einem niedrigeren Niveau angekommen. Aber es ist einfach unbefriedigend, wenn ich hinterher nicht weiß: Bin ich jetzt mehr informiert, oder mehr desinformiert worden?
      Willi

      Nachtrag dazu:
      Seit langem schon bestehen Nachrichten weniger aus nachprüfbaren Tatsachen, als aus Berichten darüber, “wer” “was” gesagt hat. Da die zitierten Personen in der Regel keine neutralen Beobachter sind ist auch schon diese Art der Berichterstattung incl. der Auswahl der zitierten (und der bewusst nicht zitierten) Personen nicht mehr eine neutrale Berichterstattung, sondern gezielte Meinungsmache. Wir sind daran schon so sehr gewöhnt, dass uns das wenig auffällt.

      Und noch ein Nachtrag:
      Ich bin froh, dass ich jetzt eine Zeitung habe, die bewusst auf Anzeigen weitgehend verzichtet. Und erstaunlicherweise bekomme ich darin viele Informationen, die andere Medien garnicht oder erst dann berichten, wenn sie sich nicht mehr verheimlichen lassen.

  1. Andreas Mirgel

    Hallo Wili,

    vielen Dank für die Aufbereitung des Links. Ist mir durch gegangen.
    Auch ich bin immer mehr in der Position keinem Medium mehr zu vertrauen. Ich war lange Zeit- und Spiegelonlineleser. Aber auch da bin ich weg von. Tagesschau lese ich online nur noch skeptisch vorsichtig. Alles andere fällt für mich weg. Was ich noch als interessant und kritisch ansehe, bei dem ich hoffe dass es noch lange so bleiben möge sind
    die MUH http://www.MUH.by
    und die Enorm http://www.enorm-magazin.de

    Noch ein Nachtrag zum Thema Neutralität und Journalismus: Journalismus kann niemals neutral sein. Der Journalist hat immer eine Haltung, was auch gut ist. Er wählt Themen und andere wählt er nicht. Was wünschenswert wäre ist eine ausgewogene Berichterstattung!

    Und was die öffentlich-rechtlichen sind die einzigem, die keinen finanziellen Druck haben, die nicht Gewinn orientiert sind und völlig losgelöst arbeiten können. Theoretisch, denn zum einen nimmt die Politik krass Einfluss und zum anderen werden die Anstalten öffentlichen Rechts, die nur dem Bürger verpflichtet sein sollten denn sie sind ein Bürgerrundfunk, die Beratungsfirmen immer mehr auf Rentabilität und Markt getrimmt… Es ist bitter dabei zuzusehen und dieses Demokratie gefährdende Moment in meinen Augen nirgendwo prominent präsentiert und diskutiert zusehen. Laut Wikipedia bekommt allein der BR jedes Jahr netto 800Mio € +… Und wenn eine Anstalt wie der BR sagt er müsse sparen, dann Frage mich “warum, wofür?”!

  2. Andreas Mirgel

    Noch ein Nachtrag zum Thema Bürgermedium Öffentlichkeit rechtlicher Rundfunk: wenn wir es finanzieren dann sollte die Bilanz auch öffentlich zugänglich sein!
    Damit wir sehen wofür die hunderte Millionen Euro genutzt werden. Zum Teil wird kolportiert, dass die Rentner so viel bekommen sollten. Das halte ich für das Schüren von Sozialneid und ein Ablenken, dass die Administration, die Kosten für Rechte (Olympia, CHL, WM, usw.) und Starhonorare (Lafer, Jauch, Lanz und Co) den immer größeren Teil aus machen. Man fragt sich ob es das braucht und was dafür alles zurück stecken muss…

  3. Ludger Elmer Beitragsautor

    Ist mein Eindruck richtig, dass die Unsicherheit, wem und was wir glauben können, doch recht gross (geworden) ist? Ja – als noch Spiegel und Zeit unseren linksliberalen Vorstellungen entsprochen haben, da haben wir ihnen vorbehaltslos Glauben geschenkt, heute haben wir so viele Medien – auch und gerade im Internet – wo sind da die Kriterien für die Glaubwürdigkeit – die finanzielle Unabhängigkeit – wer ist in der Branche noch finanziell unabhängig? Dann müssten ja Bertelsmann (gemeinnützige, steuerbefreite Stiftung) und Springer die Glaubwürdigkeit par Excellence darstellen! Aber die Meinungsmache kommt hier und da hinzu! Nur ein Satz aus der gestrigen SZ: ” Durch die Machtübernahme radikal-populistischer Linker und Rechter steht Europas Währungsunion in der grössten Krise seiner Geschichte.” Ein wahnsinniger Satz! Ich glaub’, ich bestell mir doch noch ein Probe-Abo der JW – aber wann soll ich das alles lesen? Und hinterher weiß ich immer noch nicht, wieviele russische Soldaten und welche Waffen in der Ostukraine stationiert sind? Denn es ist Krieg – und da wird es mit der Wahrheit bekanntlich noch schwerer!
    Am einfachsten war es ja noch bei Deutschlands neuer Rolle in der Welt. Da haben SZ (Stefan Kornelius) und Zeit (Josef Joffe) vorgedacht und hinterher die Reden von Gauck und Co gelobt.

    1. Andreas Schlutter

      Ich weiß nicht, Ludger… ich habe in den 80ern jahrelang den Spiegel gelesen. Aber auch das war doch bereits eine Zeit, wo die Politik eine andere Richtung eingeschlagen hat – sicher von den konservativen und wirtschaftsliberalen Medien unterstützt.

      Kurz zum Fernsehen:
      Mit dem Regierungswechsel 1982 hat Kohl den Weg frei gemacht für das Privatfernsehen – und seitdem spielen Zuschauerreichweiten für ARD und ZDF eine immer größere Rolle. Qualität wurde sukzessive in die eigenen Kultur- und Spartenkanäle und in die Nacht verschoben, aber im Hauptabendprogramm kommen die öffentlich-rechtlichen meines Erachtens ihrem Auftrag nicht nach. Wie heißt es so schön im Staatsvertrag des ZDF:

      Ҥ 5 Gestaltung der Sendungen

      (1) In den Sendungen des ZDF soll den Fernsehteilnehmern in Deutschland ein objektiver Überblick über das Weltgeschehen, insbesondere ein umfassendes Bild der deutschen Wirklichkeit vermittelt werden. Die Sendungen sollen eine freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung fördern.

      (2) Das Geschehen in den einzelnen Ländern und die kulturelle Vielfalt Deutschlands sind angemessen im Programm darzustellen.

      (3) Das ZDF hat in seinen Sendungen die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Es soll dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinung anderer zu stärken. Die sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung sind zu achten. Die Sendungen sollen dabei vor allem die Zusammengehörigkeit im vereinten Deutschland fördern sowie der gesamtgesellschaftlichen Integration in Frieden und Freiheit und der Verständigung unter den Völkern dienen und auf ein diskriminierungsfreies Miteinander hinwirken.”

      Frieden und Freiheit und der Verständigung unter den Völkern – was darunter verstanden wird, haben wir ja im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine erlebt.

      Aber zurück zu den Zeitungen und der “guten alten Zeit”. Thomas Piketty hat auf die Anomalie des Wohlstands in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hingewiesen, für alle ging es aufwärts, die soziale Marktwirtschaft schien zu funktionieren. Innerhalb dieser Anomalie war auch Platz für reichweitenstarke linksliberale Medien. Diese Zeiten sind vorbei, man kann nicht – wenn man konsequent denkt – für mehr Demokratie und für den Erhalt des Kapitalismus sein.

      Die Stärke der Süddeutschen liegt vielleicht darin, dass sie solche Aussagen durchaus druckt, gerade im Feuilleton, wo Ingo Schulze schreiben durfte:

      “Demokratie wäre, wenn die Politik durch Steuern, Gesetze und Kontrollen in die bestehende Wirtschaftsstruktur eingriffe und die Akteure an den Märkten, vor allem an den Finanzmärkten, in Bahnen zwänge, die mit den Interessen des Gemeinwesens vereinbar sind. Es geht um die einfachen Fragen: Wem nutzt es? Wer verdient daran? Ist das gut für unser Gemeinwesen? Letztlich wäre es die Frage: Was wollen wir für eine Gesellschaft? Das wäre für mich Demokratie.”

      Nur. es bleibt folgenlos. Vielleicht zum Teil dadurch, dass solche Aussagen durch die Wirtschafts-Redaktion wieder paralysiert wird. Vielleicht dadurch, dass insgesamt durch die von Albrecht Müller und Wolfgang Lieb zu Recht beklagte Meinungsmache die wenigen positiven Ausnahmen bei Weitem überwiegt, womit wir wieder bei der Berichterstattung der Süddeutschen im Ukraine-Konflikt und in Bezug auf Griechenland sind.

      DIe aktuelle Situation wird vielleicht gut beschrieben durch zwei Buchtitel: “Freiheit statt Kapitalismus” (Sahra Wagenknecht ) und “Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima” (Naomi Klein).

      Schon 1965 schrieb Paul Sethe, einer der fünf Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

      „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten… Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher…“

      Und dennoch habe auch ich die Süddeutsche im Abonnement, auch deshalb, weil es a) einen Münchner Lokalteil und b) immer wieder gute Beiträge im Feuilleton gibt. Nur: ohne das Korrektiv der NachDenkSeiten und der Berichterstattung von “junge Welt” und “neues deutschland”, ohne Blogs wie die, auf die wir zum Beispiel hier in unserem Blogroll verlinken, hätte auch ich – wie so viele eine völlig verzerrte Wahrnehmung der rauen Wirklichkeit, in der die Interesse der Menschen manipuliert werden, um die Herrschaftsinteressen der wirtschaftlich Mächtigen zu verschleiern.

      „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen” (Warren Buffett)

      Und die Presse hat in diesem Krieg – trotz aller Beschwörung der Unabhängigkeit der Redaktionen – den Auftrag, die Klasse der Reichen zu schützen.

      1. Ludger Elmer Beitragsautor

        Was ARD und ZDF angeht — viele verstecken sich auch dahinter, weil ihnen Sat1 und RTL undundund bequemer sind. Wer es wirklich Ernst mit, ein BLick auf das Prgramm heute abend:
        ARD, 20:15 Beckmann, IS-Terror
        ARD, 21:00 Hart aber Fair
        ARD, 22:45 Wenn Jugendhilfe zum Geschäft wird
        3sat, 20:15, Ukrainia, Tagebuch aus einem zerrissenen Land
        3sat, 21:05, Leben in Putins Reich, Zwei Schweizer in fremder Heimat
        Und … jeden Sonntag abend … zugegeben recht spät … ttt, gestern mit sehr guten Beiträgen über IS und Russland
        Und jeden Abend um 19:20 die Kulturzeit in 3sat, die digitalen ARD – und ZDF – Sender und die Dritten habe ich jetzt garnicht berücksichtigt, oder doch: EinsPLus, 21:45, Der Fall McCarthy
        Und im Radio gibt es auch so einiges auf BR2 oder im DLF, heute z.B. DLF, 19:15, Andruck: Gabriele Krone-Schmalz: Russland Verstehen (!!!) oder BR2, 21:05, Theo.Logik. Die Welt zerfällt in Arm und Reich. Wo bleibt die Gerechtigkeit?

        Es gibt so viel, tag-täglich, wir müssen es nur wollen. Mir sagte letztens jemand, der bei vielen Dingen (Banken, UKraine, Griechenland) genauso argumentiert wie wir, er will z.B. “Hart aber Fair” sehen, weil hier alle Argumente zum Zuge kommen, auch wenn Heiner Flassbeck angemerkt hat, das sei ihm alles argumentativ nicht fundiert genug und deswegen ginge er da nicht hin … hier könnte ja das Problem liegen, dass sich manche mittlerweile zu fein sind, dem Volk die Dinge zu erklären …

        … und um 22:15 auf Phoenix “Unter den Linden. Poker um Griechenlands Schulden. Was wird aus dem Euro? mit Sahra Wagenknecht !!!

        1. Willi

          Ja, Ludger, es gibt durchaus diverse Sendungen, die auch die umstrittenen politischen Themen durchleuchten (sollten). Aber viele davon sind wenig zufriedenstellend. Dass ich die Sendung X zum Thema Y gesehen habe bedeutet ja nicht, dass ich anschließend über dieses Thema besser (und wahrheitsgemäß) informiert bin!

          Die meisten Talkshows sehe ich nicht mehr an.
          – Beckmann habe ich als nettes Geplauder in Erinnerung, lange nicht angesehen.
          – Hart aber Fair fand ich anfangs gut bis ich gemerkt habe, dass eigentlich weitgehend ein Drehbuch mit einer vorgefassten Meinung abgespult wird, die mit den vorbereiteten Einspielern untermauert wird. Ich kann Flassbeck verstehen, wenn er eine Beteiligung an diesem Theater ablehnt. Nicht weil er sich zu fein ist, sondern weil er seine Meinung nicht in drei Sätzen erklären kann.
          – Von Sendungen über Ukraine, Russland und Putin erwarte ich wenig Aufklärung, nachdem ich über diese Themen eigentlich überwiegend Propaganda gesehen habe. Allerdings habe ich gehört, dass vor kurzem die Sendung über Putin gut gewesen sein soll.
          – Vor kurzem habe ich zufällig eine Talkshow u.a. mit Farah Diba gesehen. Die durfte sich u.a. darüber verbreiten, wie das war an der Seite des Schah, und was sie jetzt an Gutem im sozialen Bereich tut. Aber kein Wort darüber, dass der Schah durch einen von den USA bewirkten Regime Change an die Macht gekommen ist, dass dieses Regime keineswegs demokratisch war und dass beim Schahbesuch in Berlin der Aufruhr mit einem Toten aus diesem Grund entstanden ist.
          – Bekannt sind wohl auch viele Sendungen, in denen kritischen Diskussionsteilnehmern das Wort so schnell abgeschnitten wurde, dass sie keinen Gedanken ausformulieren konnten.
          – Dass BR2 gute Hörbeiträge bringt kannn ich aber auch bestätigen. Wieviel über die aktuellen politischen Themen dabei ist weiß ich nicht.
          Eine in meinen Augen gute Sendung möchte ich aber ergänzen: Ich habe 2 oder 3 Sendungen von Scobel gesehen, zuletzt “Das Ende der Privatheit”:
          http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=49511
          Von diesen Sendungen war ich jedesmal angetan.

          In Summe bleibt es aber dabei, dass ich jedesmal überlegen muss, ob eine Sendung eher Information oder eher Meinungsmache ist. Und da letzteres nach meiner Einschätzung die Überzahl ist setzt sich bei der Mehrheit der Bevölkerung wohl auch die Propaganda fest.
          Willi

  4. Andreas Schlutter

    Zwei Anmerkungen – in Form von Zitaten:

    Jens Wernicke, sich mit den Herrschaftsverhältnissen unserer Gesellscahft auseinandersetzend, schreibt auf le Bohemien:

    “Fast alle Kampagnen zur Privatisierung der öffentlichen Daseinsfürsorge wurden von den Leitmedien aufgegriffen, verstärkt und multipliziert; Politik, die einen Ausbau des kaum mehr vorhandenen Sozialstaates forcieren würde, wurde dämonisiert und das stete “Wir müssen den Gürtel enger schnallen” immer mehr zum bestimmenden Leitsatz der Meinungsmache. Den Unternehmen gehe es schlecht, Milliardäre seien vom kleptokratischen Steuerstaat geschröpfte Leistungsträger, und die Armen hingegen – unvergessen Westerwelles Aussage – unverschämt oder gar spätrömisch-dekadent. So lauteten und lauten die Kernbotschaften der medialen Realität.

    Die Millionen Menschen in Armut und Angst, die prekären und ausgegrenzten Bürger zweiter Klasse, all das wird, wenn überhaupt, nur noch gefiltert durch die Brille einer neoliberalen Ideologie in den Mainstream-Medien thematisiert. So wird insistiert, es gäbe immensen Sozialmissbrauch, Hartz-IV-Empfänger wären notorische Arbeitsverweigerer oder hätten einfach mannigfache, in ihrer Person liegende “Vermittlungshemmnisse”, seien also an ihrer Situation vor allem eines: selber schuld.”

    Hier findet sich dann auch eine kurze Erklärung des “Propaganda-Modells” von Noam Chomsky.

    Und Michael Hirsch sagt im Interview anlässlich der Veröffentlichung seines Buches “Warum wir eine andere Gesellschaft brauchen!” auf Betondelta:

    “Wir beklagen uns über soziale Ungleichheiten, Verwerfungen aller Art, Ausplünderungen der Natur, Ausbeutung der dritten Welt, Imperialismus. Aber die Ursache von ungebremster kapitalistischer Akkumulation, von all diesen ökologischen, sozialen und anderen Verwerfungen, verehren wir. Das ist unser Gesellschaftsmodell. Wir regen uns nur reaktiv, resignativ über diese Phänomene auf. Die Medien übernehmen beispielsweise diese Aufgabe, dass sie immer wieder eine tolle Reportage bringen, wie entsetzlich alles ist. Aber es gibt im Großen keine seriösen Theorieformen oder kulturelle Praktiken, die sich explizit gegen die Ursache des Ganzen richten. Man wird immer noch gesellschaftlich geächtet, wenn man sich tatsächlich über gesellschaftliche Alternativen Gedanken macht. Dann manövriert man sich immer noch ins gesellschaftliche Abseits.”

    1. Ludger Elmer Beitragsautor

      Noch eine Antwort bitte zu Willi’s Propaganda: Wer bei Wikipedia nachschaut, findet ” … bezeichnet einen absichtlichen und systematischen Versuch, öffentliche Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zum Zwecke der Erzeugung einer vom Propagandisten oder Herrscher erwünschten Reaktion zu steuern. ” Wohlgemerkt, dass Parteien “Propaganda” machen, lass ich mir einreden, aber hier ist von Medien die Rede, auch von Öffentlich-Rechtlichen! Zudem ist “Propaganda” ganz schön historisch besetzt.

      1. Willi

        Hallo Ludger,
        das Zitat aus Wikipedia finde ich absolut in Ordnung. Machen nicht unsere Herrschenden und die vielen Interessenverbände genau das? Dafür halten sie sich doch die diversen Propaganda-Institute, nennen sie nur etwas anders. Das sind dann “Medienberater” oder “Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit” (oder “Sekrätärin für Politik und Propaganda”).
        Was diese Organisationen produzieren landet dann doch in den Medien, auch in den öffentlich-rechtlichen. Und das vielfach nicht als gekennzeichnete Anzeige, sondern in den redaktionellen Texten!
        “Zudem ist “Propaganda” ganz schön historisch besetzt.” Ja, das haben schon die alten Römer gemacht, um ihre Soldaten zu motivieren, und danach noch viele andere. Wenn Du ein anderes Wort für den gleichen Sachverhalt weißt ist das ok. Mir fällt dazu “Interessengeleitete Tatsachenmanipulation” ein, aber das ist umständlich.
        Willi

      2. Andreas Schlutter

        Was ist “Meinungsmache”, wie sie auf den NachDenkSeiten immer wieder nachgewiesen wird, anderes als Propaganda. Der Beitrag von Jens Wernicke, der ja auch bei uns auf dem Blog erscheinen ist, macht doch auch deutlich dass es Propaganda auch ohne zentrale Steuerung gibt, das ist -bis zu einem gewissen Grad das Geschäft der bürgerlichen Medien. Und natürlich lassen sie andere Meinungen zu, vor allem im Feuilleton.
        Der Kommentar von Marc Beise rückt schon das zurecht, was an anderer Stelle an Vielfalt möglich ist – und wenn linke Kräfte in Südeuropa mehr Aufwind bekommen, wird es auch in der Süddeutschen mehr Vielfalt geben, aber immer unter der Maßgabe, im Zusammenspiel mit anderen privaten Medien möglichst die Deutungshoheit nicht an andere zu verlieren. Wobei ich die aktuellenLestungen dre Süddeutschen z.B. bei der HBSC und bei Luxemburg-Leaks schon zu würdigen weiß.
        Propaganda ist übrigens kein von rechts besetzter Begriff, auch Lenin hat z.B. diesen Begriff für die Kommunisten in Anspruch genommen.
        Und Wikipedia schreibt auch – zur Geschichte der Bundesrepublik:

        “In der Bundesrepublik wurde Propaganda zu Zeiten des Kalten Krieges in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten und privaten Medien sowie in vielen übrigen Bereichen des täglichen Lebens eingesetzt, oft mit starker Wendung gegen die DDR. Eine tragende Rolle hatte das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen und privat-rechtliche Propaganda-Organisationen wie z. B. der Volksbund für Frieden und Freiheit, aber auch die politischen Parteien, die oftmals mit ihrer antikommunistischen Haltung Angst schürten und Wahlkampf betrieben.”

        Propaganda ist Mittel des Kampfes um die Deutungshoheit in einer Gesellschaft – vor allem von denen, die ihre politische und/oder wirtschaftliche Macht absichern wollen.

  5. Andreas Mirgel

    Vielleicht ist Propaganda zu einseitig oder belastet, sicher trifft es in vielen Fällen auch zu, aber man kann es ja auch public relation nennen, Öffentlichkeitsarbeit. Und wenn man zum Teil hört, dass Propaganda von Profis, sprich von PR Agenturen gemacht wird, dann passt es wieder, siehe die Geschichte mit Kuwait, den Irakischen Soldaten und den Brutkästen als eine der Versuche internationales Eingreifen zu forcieren: http://m.heise.de/tp/artikel/14/14271/1.html?from-classic=1

    Schon komisch, aber public relations, Öffentlichkeitsarbeit, klingt fast ein bisschen sehr harmlos…
    Vielleicht macht Zweck und/oder Haltung Öffentlichkeitsarbeit zu Propaganda. Oder es ist eine Frage des eigenen Standpunktes: was für den einen ein Terrorist, für den anderen ein Freiheitskämpfer.

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