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Wer erklärt mir Pegida?

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Foto: Florian Schlund

Am 22.12.2014 haben in München auf dem Max-Josef-Platz vor dem Nationaltheater mindestens 12.000 Menschen demonstriert, gegen Fremdenfeindlichkeit und für eine Kultur des Willkommens und Helfens angesichts von vielen Flüchtlingen in Deutschland.

Eigentlicher Anlass dieser Demonstration war aber Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), der mehrfache Protest von über 10.000 Dresdener Bürgern, der sich gegen die Aufnahme von Fremden bei uns aber auch gegen soziale Verwerfungen in unserem Land richtet. Wogegen haben denn diese Bürger wirklich demonstriert? Ihr Sprecher kritisiert eine „unsägliche Asylpolitik“ der Bundesregierung, prangert aber auch soziale Zustände an, spricht über Rentner, die sich zu Weihnachten den Stollen nicht leisten können, und über Menschen, die auf der Straße leben müssen und nicht genug zu essen haben. Die Angst vor Überfremdung wird offen geäußert, aber der Sprecher fordert auch den sofortigen Stopp von Waffenlieferungen, denn die vielen Kriege auf der Welt seien die eigentliche Ursache für die vielen Flüchtlinge bei uns. Die Aufnahme von Asylsuchenden wird verhöhnt, diese sei „dezentrale Unterbringung mit Vollausstattung“ und darüber wird gelacht. Sie machen aber Unterschiede, sie wollen nur Kriegsflüchtlinge aufnehmen, keine Menschen, die die Armut nach Europa getrieben hat. (14_12_MITSCHRIFT_Pegida[2])

Für die Politiker ist dieser Protest nun richtig peinlich, sie reagieren, wie so oft, nach dem Motto: „Wir haben zu wenig erklärt!“ Sie sagen nicht, dass sie Fehler gemacht hätten. Und irgendwie ratlos wirken die Politiker auch – denn die Demonstranten von Pegida sagen nicht wirklich, was sie wollen, sondern viele schweigen oder singen Weihnachtslieder.

Insgesamt ist das eine gefährliche Gemengelage von sozialen Ängsten und Furcht vor Überfremdung und die Pegidas sagen, sie drücken nur das aus, was viele Menschen bewegt.
Sie verweisen auf die soziale Lage einer großen Minderheit in Deutschland, das kann ich nachvollziehen. Die Politik hat uns über 10 Jahre lange den Abbau von Sozialleistungen mit dem Wort „Reformen“ erklärt und ich bin mir sicher, bei Pegida, da war bestimmt die Oma dabei, die in der Finanzkrise ihre Ersparnisse verloren hat, schweigend mit marschiert ist sicherlich auch die Hartz IV-Familie, die keine Möglichkeiten der sozialen Partizipation mehr sieht, mit geschwiegen hat wohl auch das 35-jährige junge Paar, das ohne festen Arbeitsplatz den Kinderwunsch schon abgeschrieben hat und Weihnachtslieder gesungen hat sicherlich auch die ältere Dame, die 3 Jobs am Tag benötigt aber auf die doch die Altersarmut wartet.

Und wenn wir über die Grenzen schauen, dann wissen wir, unsere Politik hat eine Verarmung von ganzen Gesellschaften bewirkt: Über 26 Millionen Bürgerinnen und Bürger in der EU sind arbeitslos. In Griechenland und Spanien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 50 Prozent, in Italien bei 44 Prozent. In Griechenland bekommen nur 27 Prozent der Arbeitslosen Arbeitslosengeld. Die Säuglingssterblichkeit stieg in der Zeit der Krise um 21 Prozent, die Kindersterblichkeit stieg um 43 Prozent, die HIV-Ansteckungsquote stieg um 52 Prozent. Die Selbstmordrate stieg um 37 Prozent. (14_10_GYSI_Austeritaet[3])

Gegen die Zustände in Griechenland protestiert bei uns sicherlich niemand, denn unsere Medien haben es ja häufig wiederholt, die Griechen seien selber schuld. Sie müssten nur die Akropolis oder ihre Autobahnen verkaufen. Nur auch bei uns im doch so reichen Bayern liegt die Altersarmut mittlerweile bei 17%!

Wenn die einen gegen die angebliche „Islamisierung des Abendlandes“ demonstrieren, dann stelle ich fest, dass im Auftrag und im Namen dieses Abendlandes, mit dem sich laut Wikipedia [4]der Begriff der „westlichen Welt“ definiert, Drohnenkriege geführt und Menschen gefoltert werden. Es würde mir leichter fallen, die westlichen Werte zu verteidigen, wenn nicht andauernd gegen sie vom „Westen“ verstoßen würde. Wir sehen zu, wie das Mittelmeer zum Friedhof wird, wie Papst Franziskus es gesagt hat, aber wir sind nicht in der Lage, eine ernsthafte gesellschaftliche Debatte über die wirklichen Ursachen der großen Fluchtbewegung anzustoßen. Wenn die „Pegidas“ nur Kriegsflüchtlinge aufnehmen wollen, dann verschweigen sie eben ganz bewusst, dass es auch unsere Handelsbeziehungen, unsere subventionierten Exporte in afrikanische Länder sind, die die dortigen Märkte überschwemmen und eine eigene wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder verhindern. Ein Artikel in der SZ war neulich überschrieben mit dem Titel „Neben uns die Sintflut“. Stephan Lessenich schreibt:

“Eine Insel der Sicherheit, der Stabilität und des Wohlstands, umgeben von einem Meer
wirtschaftlicher Konkurrenten, umtost von der Brandung terroristischer Milizen und kriegerischer Konflikte, bedroht von einer Flut wanderungsbereiter Armutspopulationen: Ein solches Bild dürfte ziemlich genau das Lebensgefühl krisenverunsicherter Milieus in den Kemländern des nordatlantischen Raums treffen.” (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 30.10.2014, Seite 9, Feuilleton)

Unser Wohlstand basiert also auch auf der laufenden Ausbeutung vieler afrikanischer Länder. Aber – wie kann ich gegen den Sozialabbau bei uns und die Diskriminierung anderer Staaten gleichzeitig demonstrieren? An dieser Stelle müssten die Dresdener Demonstranten eigentlich sofort kehrt machen und wieder nach Hause gehen!

Dann würde ihnen womöglich einfallen, dass Frau Merkel in einer der letzten Weihnachtsansprachen dazu aufforderte, „den Gürtel enger zu schnallen“ und obendrein feststellte, dass „Multikulti gescheitert“ sei. Dabei – in München leben fast 40% der Menschen mit einem Migrationshintergrund!

Wenn es denn nur am Erklären liegt, dann sollten wir doch sofort anfangen! Ich erinnere mich an die Forderung der Grünen im letzten Bundestagswahlkampf, einen Veggie Day einzuführen, also einmal in der Woche fleischlos zu essen. Das war eine durchaus richtige Idee, denn der Klimawandel ist zu mindestens 30% mittelbar und unmittelbar auf den Fleischkonsum zurückzuführen. Aber sie hätten es auch wirklich argumentativ vertreten müssen. Vom Klimawandel werden am meisten diejenigen Länder im Süden betroffen sein, aus denen heute die Flüchtlinge zu uns kommen. Aber es fehlte wirklich der Mut, dieses Thema offensiv zu vertreten. Das wäre auch ohne erhobenen Zeigefinger möglich gewesen. Und nach der Wahl haben sie sich dann selber kritisiert und ihre Forderung leise zurückgezogen.

Ein weiteres Beispiel: Ein Tempolimit auf den deutschen Autobahnen wird seit Jahrzehnten diskutiert, weil es eben auch einen Beitrag zur Reduzierung des CO2-Ausstosses leisten könnte. Wir sind das einzige Land, in man noch uneingeschränkt rasen darf. Aber erst hat es den Autokanzler gegeben, der so oft einfach „Basta“ gesagt, also nicht erklärt hat und dann war es unsere übertriebene Exportorientierung, die offenbar „alternativlos“ ist, also auch nicht erklärt werden muss.

Zurück zu Griechenland: Hier sind die Autobahnen privatisiert worden und die Bürger müssen für die Nutzung bezahlen. Und sie zahlen, obwohl die Autobahnen mit ihren Steuern gebaut worden sind. Ihnen wird sicherlich erklärt: „So funktioniert Neoliberalismus!“

Gespannt bin ich auf die Erklärung unseres Wirtschaftsministers, der plant, unsere Autobahnen mit privaten Geldern von Banken und Versicherungen auszubauen und ihnen eine Rendite für ihr eingesetztes Kapital über Jahrzehnte zusichern will. Ihn bewegt offenbar nicht, dass die Privaten immer teurer finanzieren müssen als der Staat, dass viele Gutachten von Rechnungshöfen diese Projekte der ÖPP (Öffentlich-Private Partnerschaft) für unwirtschaftlich erklärt haben. Wenn ich höre, wer Gabriel zurzeit in dieser Frage berät, nämlich durchgehend Lobbyisten von Banken und Versicherungen, dann ahne ich, dass er mir einiges zu erklären haben wird. Und er wird mir sagen müssen, warum er den Weg über höhere Steuern, die doch so häufig gesenkt wurden in den letzten zwanzig Jahren, zur Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur nicht gehen will?

Zu unserem Wohlstand gehören Fleisch essen und Auto fahren, ob auf öffentlichen oder privaten Straßen. Wer erklärt das den Demonstranten in Dresden?

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Endnotes:
  1. [Image]: https://fbcdn-sphotos-g-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xpa1/v/t1.0-9/10885039_849386055112326_5866831533370148974_n.jpg?oh=fff713d184558146ed97f7ed07faff54&oe=55421363&__gda__=1429276379_2e401faa8a3a710cf62cb1cf6d1aef2c
  2. 14_12_MITSCHRIFT_Pegida: http://nachdenken-in-muenchen.de/Wordpress/wp-content/uploads/2014/12/14_12_MITSCHRIFT_Pegida.pdf
  3. 14_10_GYSI_Austeritaet: http://nachdenken-in-muenchen.de/Wordpress/wp-content/uploads/2014/12/14_10_GYSI_Austeritaet.pdf
  4. Wikipedia : https://de.wikipedia.org/wiki/Abendland
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