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Flüchtlinge kommen – und München ist im Katastrophenmodus

Ganz klar, die bayerische Staatsregierung hat versagt. Und auch die Bundesregierung. Obwohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit 200.000 Flüchtlingen rechnet, die dieses Jahr Deutschland erreichen und das Gros der Flüchtlinge auf dem Landweg über Bayern einreist, sind die Erstaufnahmekapazitäten nicht rechtzeitig ausgebaut worden, die Verfahren nicht beschleunigt worden. Behördenversagen, Gleichgültigkeit, Ignoranz – sicher eine Seite der Medaille. Doch andererseits spielt sicher eine Rolle, dass vor den Kommunalwahlen im Frühjahr nichts nach draußen dringen durfte. Entscheidungen über neue Erstaufnahmeeinrichtungen vor dem Wahltermin hätten ja zu Protesten führen können und/oder CSU-Mehrheiten in den Rathäusern gefährden können. So bleibt es also nach wie vor im Wesentlichen an München und in geringerem Umfang an Zirndorf, alle Flüchtlinge aufnehmen zu müssen.

Vor einer Woche wurde schließlich eingeräumt, in München im Katastrophenmodus zu sein. Die Stadt hat darauf reagiert und Oberbürgermeister Dieter Reiter – als Vermieter der Bayernkaserne – einen Aufnahmestopp verfügt. Und die Staatsregierung hat sich dem sogar gebeugt[1].

Die Solidarität der Bevölkerung ist überwältigend. Heribert Prantl schreibt[2]:

Das Elend der Flüchtlinge ist so nahe gerückt – und es fasst so viele Deutsche ans Herz. Und weil das so ist, fassen sie sich an den Kopf, dass eines des reichsten Länder der Erde und eine der besten Bürokratien der Welt nicht in der Lage sein soll, sich um zwei-, dreihunderttausend Flüchtlinge gut und fürsorglich zu kümmern. Genau das aber erwarten sie von ihren Innenministern, das erwarten sie von ihrer jeweiligen Landes- und der Bundesregierung.

Dieses Wochenende scheint erstmals ruhiger gewesen zu sein, es kamen wohl nur 200 statt 600 neue Flüchtlinge – der GDL mit ihrem Streik sei an dieser Stelle gedankt, auch wenn dies gar nicht in ihrem Fokus lag.

Es ist die Geschichte eines Skandals, eines Skandals im doppelten Sinne: zum einen ist völlig unverständlich, warum es nicht gelingen kann, 3000 Flüchtlinge in einer der reichsten Großstädte Europas menschenwürdig unterzubringen. Mittlerweile sind aber fast schon revolutionäre Töne[3] zu hören:

Der Bezirksausschuss Au-Haidhausen beantragte einstimmig, dass die Stadt notfalls leer stehende Bürogebäude beschlagnahmen soll. “Sofern Eigentümer leer stehender Bürogebäude diese nicht freiwillig als Flüchtlingsunterkünfte zu vermieten bereit sind, muss aufgrund der Sozialpflichtigkeit eine Beschlagnahme in Betracht gezogen werden”, heißt es in dem Antrag.

Zum anderen: vor gut 20 Jahren wurde das Asylrecht des Grundgesetzes faktisch abgeschafft, die Grenzen wurden danach durch die Dublin-Abkommen dicht gemacht. Deutschland umzingelt von sicheren Drittstaaten, Rückkehrpflicht in die EU-Länder, wo die Flüchtlinge erstmals den rettenden Boden betreten haben. Deutschland schien sich sicher, zu sicher, trotz der auch durch westliches “Engagement” zunehmenden Kriege im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika kaum Menschen aufnehmen zu müssen.

Nur: im Zuge der Troika-Politik ist Griechenland kein sicherer Drittstaat mehr – und Italien, wo die meisten Flüchtlinge anlanden, ist kaum in der Lage, allen Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Und so steigen sie – oft unregistriert – halt in die Züge nach Norden, die im Münchner Kopfbahnhof enden. Als ob das nicht zu erwarten gewesen wäre.

Solange deutsche Unternehmen Waffen produzieren, die in Krisengebieten landen, solange die USA und ihre Verbündeten glauben, mit Unterstützung und militärischer Ausstattung von Rebellen sowie direkten Einsätzen ökonomische Interessen durchsetzen zu können, wird das Elend in diesen Ländern zunehmen und werden die Flüchtlingszahlen steigen, wie aktuell vor allem in Syrien. Es wird Zeit umzudenken und hier in Deutschland eine Politik einzufordern, die zu Recht Friedenspolitik in der Tradition Willy Brandts genannt werden darf. Die Würde der Menschen in Syrien, Südsudan, Irak, Eritrea, Afghanistan und anderswo muss unser Handeln bestimmen – und nicht strategische Rohstoffinteressen.

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Endnotes:
  1. gebeugt: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/dieter-reiter-als-krisenmanager-endgueltig-der-ober-buergermeister-1.2178907
  2. schreibt: http://www.sueddeutsche.de/meinung/fluechtlinge-in-deutschland-mobilmachung-des-mitgefuehls-1.2178312
  3. revolutionäre Töne: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/fluechtlinge-in-muenchen-misshandlungsvorwuerfe-in-der-bayernkaserne-1.2177168
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